Glückwunsch:Unbeirrbarer Baron

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In seiner Person kulminieren 1000 Jahre fränkisches Reichsrittertum, geistige Unabhängigkeit und eine große Unlust, die Dinge einfach hinzunehmen: Der Dirigent und Gründer der Chorgemeinschaft Neubeuern, Enoch zu Guttenberg, wird 70

Von Egbert Tholl

Wenn man von der Autobahn nach Neubeuern kommt, muss man durch den Ort hindurch, zu einem Stadttor hinein in die mittelalterliche Pittoreske, durchs andere wieder hinaus, um zu einem Stadl zu gelangen, der von außen so groß wie unscheinbar ist, innen aber ein Hort der Schönheit. Auf den ersten Blick scheint die Welt von Enoch zu Guttenberg viel von dem zu erfüllen, was man sich von dem Refugium eines Barons erwartet. 1000 Jahre fränkisches Reichsrittertum kulminieren in seiner Person; die Familie war nur dem Kaiser untertan, und Guttenberg lebt noch heute auf ihrem Schloss in der Nähe von Kulmbach. Der Vater war Politiker, der Onkel starb im Widerstand gegen Hitler, der Großvater wurde vermutlich von den Nazis vergiftet. "Wenn damals Festspiele in Bayreuth waren, das nur 30 Kilometer von Guttenberg entfernt ist, ging die Familie in Deckung. Und als ich das erste Mal Wagner dirigierte, war das für die Familie ein Sakrileg." Enoch zu Gutenberg bleibt vorerst der einzige, der den Schreckensschrei der Familie hervorrief: O Gott, der Bub wird Künstler! Das ist er geworden, mit aller Unabdingbarkeit.

Am 29. Juli wird Enoch zu Guttenberg 70 Jahre alt. Mit der Chorgemeinschaft Neubeuern - seit 1997 auch mit dem Orchester der Klangverwaltung - ist er eine feste Größe im Münchner Konzertleben, seit langer Zeit. An Karfreitag Bachs "Matthäus-Passion", zu Weihnachten Bachs "Weihnachtsoratorium", allein das sind feste Termine seiner Welt, wie er sie den Zuhörern vermitteln will, voller Ernsthaftigkeit, erfüllt mit einem säkularen Glauben an Humanität. Weit mehr als 100 Mal hat er Bachs Passionen inzwischen dirigiert.

Guttenberg studierte noch in München und Salzburg Komposition und Dirigieren, als er nach Neubeuern kam. "Ein schönes Weib", so erzählte er mal bei einer Gelegenheit, habe ihn einst ins Chiemgau gelockt. Dort hockte er dann in seinem Komponistenhäusl, versuchte, eine Messe zu erschaffen und erhielt eine Anfrage aus dem Dorf. Fürs Adventssingen war der Dirigent ausgefallen, und er sei doch ein Komponist, da könne er doch auch das Konzert leiten. Er tat's - und 1967 wurde die Chorgemeinschaft Neubeuern ins Leben gerufen, Musterbeispiel dafür, was man mit einem Laienchor erreichen kann, wenn man nur die Leidenschaft, Energie und das Können dafür aufbringt. Die Chorgemeinschaft sang inzwischen vor dem Papst, das Orchester nahm diverse Werke auf CD auf, teils zusammen mit dem Chor, teils auch allein. Und im Jahr 2000 übernahm Guttenberg die Leitung der Herrenchiemsee-Festspiele auf Bitten diverser Lokal- und Landtagspolitiker. Mit Hilfe der Unterstützung der Deutschen Bank formte Guttenberg das Festival nach seinem Kunstwillen.

Guttenberg ist ein streitbarer Mensch, mitunter wenig zurückhaltend in der Wortwahl, auch was eigene Fehler angeht. Eine "Riesenblödheit" etwa sei es gewesen, sich für die Finanzierung der Festspiele sehr eng an Josef Ackermann, Vorstandvorsitzender der Deutschen Bank zu binden. Als der die Bank verließ, blieben von der einstigen Unterstützung gerade mal zehn Prozent übrig. Abstruse Forderungen wurden laut, Guttenberg solle doch ein paar Hektar Wald verkaufen, um die Festspiele selbst zu finanzieren. Festspiele, die damals die Politik ersehnte, nicht er. Schließlich sprang der Staat ein.

Vielleicht ist seine emotionale, knarrige Widerständigkeit einfach ein Familienerbe. Guttenberg konnte sich genauso für den Naturschutz engagieren wie später Windräder als "hocheffiziente Geräte zur Vernichtung von Vögeln" bezeichnen. Er wählte einen eigenen Weg der musikalischen Interpretation, zwischen historischer Akkuratesse und leidenschaftlicher Wucht. Er kann mit den Missgeschicken seines Sohnes hadern und ihn innig lieben. Er kann als Baron eine Chorgemeinschaft leiten und "der Enoch" dort sein. Er kann vieles - und wird noch vieles tun. Alles Gute.

© SZ vom 29.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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