Glosse:Glosse: Klassik macht U-Bahn sicherer

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Wer hätte es gedacht? Klassische Musik macht nicht nur klug, sie macht auch U-Bahnhöfe sicherer. Von Rebecca Müller

Seit rund zwei Jahren lässt die MVG die Wartenden in zehn U-Bahnstationen von Klassikern der Klassik berieseln, um eine "beschwingte, angenehme und entspannte Atmosphäre" zu schaffen.

Der Effekt ist verblüffend: Nach der Erfahrung der Marketingabteilung geht die Bereitschaft zu Gewalt und Vandalismus unter dem Einfluss von akustischen Tranquilizern deutlich zurück.

Für Gesellschafts-Psychologen eröffnen sich hier ganz neue Möglichkeiten: Schon eine Dosierung von wenigen Minuten Aufenthalt in einer solchen 'Schallhalle' könnten genügen, um ein harmonisches Miteinander zu zaubern.

Ein Geheimtipp für alle, die sich eine Sauerstoff-Kur nicht leisten können: Nach dem Einkaufen einfach hineinsetzen und entspannen - Sauerstoff für die Ohren sozusagen.

Die Gefahr von Realitätsverlust jedoch darf nicht außer acht gelassen werden: Mit zunehmender Musikbeschallung steigt das sogenannte subjektive Sicherheitsgefühl - jeder fünfte männliche Zuhörer und sogar jede dritte Zuhörerin outeten sich bei der Befragung als anfällig hierfür.

Das ist fatal, weil sich nicht alle von der Wirkung des akustischen Rauschmittels einlullen lassen. Da helfen kein Selbstverteidigungskurs und kein CS-Gas; einzig mit Oropax lässt sich diese riskante Nebenwirkung abwehren und den Gegner mit klarem Verstand überwältigen.

Einen ungastlichen Effekt bringen die klassischen Töne doch mit sich: Als Daueraufenthaltsort büßen die Haltestellen ihre Attraktivität ein - was durchaus verständlich ist. Schließlich werden die Stücke nach dem Zufallsprinzip ausgewählt, ein Umschalten gibt es nicht. Nach einer aktuellen Umfrage der MVG ist fast jedem Zehnten das Angebot "zu redundant".

Da die Lautsprecher nicht auf eine angemessene Wiedergabe der virtuosen Töne ausgelegt, ist das Zuhören auf Dauer einfach kein Genuss. Ganz abgesehen von der "Prophanisierung der klassischen Musik im öffentlichen Raum", was manch empfindsamer Musikfreund bei der MVG bemängelt, der die Mainstream-Klassiker von Vivaldi, Mozart oder Beethoven nicht mehr hören kann.

Das sieht das Management ein und wählt sorgfältig aus, bevor ihr Service-Angebot zur "omnipräsenten Zwangsberieselung" wird und die Dauerhocker überall vergrault.

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