Gisela Michalowski:Die Diagnose war eine Entlastung

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Gisela Michalowski aus Lingen im Emsland ist Vorsitzende des Vereins FASD Deutschland und Mutter von vier erkrankten Pflege- und Adoptivkindern. (Foto: oh)

Die Sozialpädagogin erklärt, wie man mit der Erkrankung umgeht

Interview von Inga Rahmsdorf, München

Gisela Michalowski hat neben vier leiblichen Kindern auch noch vier Adoptiv- und Pflegekinder, die alle mit alkoholbedingten Störungen geboren wurden. Der älteste Pflegesohn war 19 Jahre alt, die anderen sechs Monate, zwei und fünf Jahre, als sie die Diagnose erhielten. Die Sozialpädagogin ist seit 2005 Vorsitzende von "FASD Deutschland", einem bundesweiten Zusammenschluss von Eltern, deren Kinder an Fetalen Alkoholstörungen leiden.

SZ: Wie sieht Ihr Familienalltag aus?

Gisela Michalowski: Unser Alltag ist ähnlich wie in dem Film "Und täglich grüßt das Murmeltier". Jeder Tag ist gleich. Wir haben immer die gleiche Tagesstruktur, seit 28 Jahren. Wir ziehen uns morgens das Korsett FASD an und ziehen es abends, wenn das letzte Kind einschläft, wieder aus. Wichtig sind klare Strukturen, immer die gleichen Abläufe und eine einfache Sprache, ohne bitte und danke und könntest du - das verwirrt sie nur. Für Außenstehende klingt das oft rigide und unfreundlich.

Was hat die Diagnose für Sie bedeutet?

Wir haben lange gehadert, ob wir nicht in der Lage sind, unsere Kinder richtig zu erziehen. Wir haben allen das Gleiche zukommen lassen. Bei den leiblichen Kindern hat es gut funktioniert, bei den anderen nicht. Da habe ich mich immer gefragt, gebe ich zu viel oder zu wenig. Die Diagnose FASD war eine große Entlastung - zu wissen, dass vorgeburtliche Schädigungen der Grund sind. Auch für unseren ältesten Sohn war die Diagnose wichtig, um sich annehmen zu können, wie er ist. Die Kinder wissen, dass sie anders sind, dass sie mehr Leistungen bringen müssen und trotzdem immer wieder auf die Nase fallen.

Kann Ihr ältester Pflegesohn allein leben?

Er hat ein partielles Fetales Alkoholsyndrom. Er hat einen IQ von weit über 100, hat eine Ausbildung zum Speditionskaufmann und arbeitet im Beruf. Er ist 30 Jahre alt, aber er kann den Alltag nicht allein bewältigen. Er lebt mit einer Wohnassistenz und hat einen rechtlichen Betreuer. Er braucht Hilfe bei der Körperpflege, beim Einkaufen, beim Umgang mit Geld, damit sein Gehalt länger als drei Tage ausreicht.

Was raten Sie Eltern mit FASD-Kindern?

Das Wichtigste ist, dass sie eine Selbsthilfegruppe haben, wo sie sich aussprechen können. Denn bei uns passieren Dinge, die bei anderen Familien nicht passieren. Dass man einen Theaterbesuch absagt, weil für den 19-jährigen Sohn kein Kindermädchen da ist, und ohne Aufsicht würde er zündeln. Man muss immer auf der Hut sein, kreativ. Es wird viel nach Prävention gerufen, aber es gibt viel zu wenig für Menschen, die mit FASD leben. Es ist schon schwierig, einen Behindertenausweis oder eine Pflegestufe zu bekommen, weil man es ihnen nicht ansieht. Sie können sich gut verkaufen, gut reden, aber dann haben sie plötzlich vergessen, wie man sich den Po abwischt oder die Zähne putzt.

Sieben Tage, rund um die Uhr: Wie schaffen Sie das?

Ich glaube, mir hilft meine positive Einstellung, ich kann mich über jeden kleinen Fortschritt freuen. Auch die Liebe zu meinen Kindern macht mich leidensfähig. Und ich nehme vieles mit Humor.

© SZ vom 23.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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