Gesundheitsversorgung in München:Schrumpfkur für städtische Kliniken

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In der Notaufnahme: Die Städtischen Kliniken kämpfen mit den Folgen des Finanzdesasters und dem Kostendruck im Gesundheitswesen. Es ist deshalb vernünftig, das Klinikum Bogenhausen auszubauen und dafür andere Standorte zu verkleinern.

Von Stephan Handel

Als den Menschen ihr Krankenhaus genommen worden war, gab es einen Aufstand. Es gab Petitionen und Proteste, und am Ende gingen die Leute einfach hinein - und blieben, bis die Stadt schließlich nachgab.

Das war 1984, als das städtische Krankenhaus in Oberföhring ebenso aufgelöst wurde wie die Kliniken in der Pappenheimstraße und in Kempfenhausen am Starnberger See. Die Bürger protestierten allerdings nicht gegen eine Verschlechterung der medizinischen Versorgung - dafür gab es auch keinen Grund, denn fast in Sichtweite der schon damals maroden Ansammlung von Baracken hinter der Effnerstraße hatte die Stadt ein neues, grünglitzerndes Klinikum gebaut, für 460 Millionen Mark, mehr als 235 Millionen Euro. Der Protest und die - letztlich harmlose - Besetzung richteten sich gegen die Pläne der Stadt, das Oberföhringer Gelände zu verkaufen. Stattdessen wollten die Leute das Areal lieber für sich nutzen, für ihre Vereine, für ihr Viertel. So geschah es dann auch, bis heute existiert der "Bürgerpark Oberföhring".

Das grüne Haus, so groß, dass es von Oberföhring aus fast zu sehen ist, ist das Klinikum Bogenhausen. Es wird dieser Tage 30 Jahre alt, und seine Geschichte schien schon an ihrem Ende angelangt: Als das ganze Ausmaß der Katastrophe um die Städtische Klinikum GmbH herauskam, da war ein längere Zeit diskutierter Rettungsplan der, das Bogenhausener ebenso wie das Schwabinger Krankenhaus aufzugeben und stattdessen ein "Klinikum Nord" neu zu bauen. Dann aber kamen und gingen die Geschäftsführer, die Unternehmensberater und die Bürgermeister - nun soll das todgeweihte Haus an der Englschalkinger Straße nicht nur nicht abgerissen werden, im Gegenteil:

Es wird nun groß aufgewertet, ausgebaut und erweitert; Bogenhausen soll im Nordosten der Stadt den Schwerpunkt der Versorgung bilden, während in Schwabing mehr oder weniger nur mehr der Zuliefer- und der Notdienst bleiben wird. Ob so etwas der Weisheit letzter Schluss ist, darüber gehen die Meinungen naturgemäß auseinander, die Schwabinger sehen das anders als die Bogenhausener, und die Harlachinger beklagen, dass für ihre Haus doch schon fertige Neubaupläne in der Schublade liegen, wo sie allerdings wohl auch bleiben werden. Ist das alles vernünftig?

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Zunächst: Ein Unternehmen, das praktisch tagtäglich vor der Insolvenz steht, tut gut daran, Sachen zu verändern. Nur die Situation im Norden der Stadt betrachtend, stellt sich die Frage, wo denn investiert werden soll - in Schwabing oder in Bogenhausen?

Eine ziemlich einfache Antwort darauf liefert ein Blick von oben: Schwabing wurde vor mehr als 100 Jahren gebaut, damals galt in der Medizin die Annahme, Infektionen würden über die Luft übertragen, wogegen zwei Dinge am besten helfen sollten: die Kranken voneinander zu trennen und kräftig zu lüften. Deshalb war architektonisch der Pavillon-Stil gefragt beim Krankenhausbau - einzeln stehende Häuser mit viel Platz dazwischen. So ist es in Schwabing, auch wenn für die prächtigen Häuser dort das Wort "Pavillon" doch etwas untertrieben ist.

Schön und unpraktisch

Erst später setzte sich zwei Erkenntnisse durch: dass Mikroben, Bakterien, Viren durchaus nicht durch die Luft von Patient zu Patient fliegen, sondern vielmehr bequem auf Kitteln, Schuhen, Händen von Ärzten und Pflegern reisen, wenn diese nicht ausreichend auf Hygiene achten. Und dass die frei stehenden Häuser zwar schön aufgelockert aussehen, aber auch recht unpraktisch sind, wegen der langen, unüberdachten Wege dazwischen. Die modernen Gebäudeanlagen heute sehen anders aus: Breitfuß, Arkade, Kreuz - eine jede hat ihre Vor- und Nachteile. So auch jene, die die Architekten für Bogenhausen wählten: der so genannte Doppel-Kamm, zwei interne Versorgungsstraßen, von denen, wie die Zinken in einem Kamm, links und rechts die Stationen abgehen. Diese Architektur begünstigt nun, was die Stadt dort vorhat: Der Doppelkamm ist bei Bedarf relativ einfach zu erweitern.

Doch wozu ausbauen? Wo doch die städtischen Kliniken sowieso schon unter dem Marktdurchschnitt ausgelastet sind, und jedes nicht belegte Bett nicht nur kein Geld einbringt, sondern Geld kostet? Und wo doch, nach jedem nur anwendbaren Schlüssel, die Gesamtzahl der Krankenhausbetten in der Stadt sowieso deutlich über dem Bedarf liegt?

Ausbau in Bogenhausen, Abbau an anderen Stellen

Der Ausbau in Bogenhausen geht einher mit einem Abbau der Kapazitäten in den städtischen Kliniken insgesamt. Und das bedeutet natürlich: Zentralisierung, Konzentration, Schwerpunktbildung. Das ist schwer nachzuvollziehen, denn fast 200 Jahre, seit Beginn des Krankenhausbaus also, war das ja ein Wert an sich: die Erreichbarkeit, die wohnortnahe Versorgung, ein Denken, das bis heute zur Folge hat, dass jeder Landrat sein noch so defizitäres Kreiskrankenhaus um jeden Preis erhalten möchte.

Zeitgemäß ist das nicht. Denn zeitgemäße Medizin ist vor allem eines: teuer. Das beginnt bei der Diagnostik, bei den bildgebenden Geräten, wo ja ein Röntgengerät schon lange nicht mehr ausreicht und der Computertomograph auch nicht, Magnetresonanz und Positronen-Emission möchten es bitte schön schon auch noch sein. Sie - unter anderem - ermöglichen immer mehr und immer verfeinerte Therapien, die dann eben auch wieder Geld kosten. Und schließlich erwarten die Menschen von einem Krankenhausaufenthalt heute nicht nur Heilung ihrer Leiden, sondern in gewisser Weise auch einen Service, als seien sie Gast, nicht Patient - nicht umsonst heißt alles, was dem Aufenthalt dient und nicht medizinisch ist "Hotelleistungen".

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Es wird wirtschaftlich nicht möglich sein, alles diese Anforderungen, Bedürfnisse und Erwartungen immer an allen Standorten bereitzustellen - was im übrigen auch gar nicht nötig ist; schon heute ruft der Kardiologe aus Landshut bei seinem Kollegen in Harlaching an, wenn er dessen Meinung zu einer Katheter-Untersuchung wissen möchte, die Bilder stehen online bereit.

Die Notfallversorgung, oft ins Feld geführt, wenn es um die Klinik-Struktur in München geht, steht dem auch nicht entgegen - auch nach dem Umbau der Städtischen Kliniken soll die Alarmierungszeit von sieben bis acht Minuten eingehalten werden, ein Wert, von dem manche ländliche Gebiete in Bayern nur träumen können. Dass das nächste Krankenhaus nicht mehr in Sichtweite liegt, daran werden sich die Patienten gewöhnen müssen. Ein Grund für Hausbesetzungen ist das nicht.

© SZ vom 15.11.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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