Gesellschaftsraum:Der kochende Punk

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Im Gesellschaftsraum kocht Bernd Arold, einer von Deutschlands jungen wilden Köchen. Die Kreationen sind mutig, das Ambiente fein.

Rosa Marín

Wie ist es um ein Restaurant bestellt, dessen Chef de Rang einen mit tief hängendem Jeans-Hosenboden und bläulichen Maori-Tattoos unter dem hochgekrempelten Ärmeln seines Arbeitshemds empfängt? Was, bitteschön, hat ein Kalter Palmrosahund auf dem Tisch verloren? Wieso trägt der Chef Saucier eine schwarze Hafenarbeitermütze? Und was darf man sich von einem Küchenchef erwarten, der als Kochstil "Willkürbiercorecooking" angibt?

(Foto: Foto: Catherina Hess)

Man darf sich schön schräge, große Kochkunst erwarten, die nicht nur irre schmeckt, sondern auch ziemlich durchgeknallt klingt. Auf der Speisekarte des Gesellschaftsraum an der Augustenstraße finden sich Wortungetüme wie die Pflaumige Lottenkaninchenwirsingrolle auf Kohlrabiclementinen oder die Geschockte Federweiße Rehessenz mit Weinwaller auf Olive. Weitere Kostproben später.

Denn um zu verstehen, in welcher Form in diesem Lokal nahe des Hauptbahnhofs allabendlich der Punk abgeht, muss man neben den Zutaten die Vita des Kochs studieren. Einigermaßen fein abgestimmt heißt es in einer Selbstbeschreibung auf der Webseite des Lokals: "Schon als junger Punk wollte Bernd Arold kochender Weise die Welt retten und startete seine Mission im Backöfele in Würzburg, wo er seine Kochlehre absolvierte." Für einen, der früher im Backöfele das Süpple umrührte, hat Bernd Arold eine wahrhaft bewegte Karriere hinter sich. Münchner Abenteuergourmets kennen ihn aus dem Essneun, wo er von 2002 bis 2007 die wildesten Kreationen auf den Tisch brachte.

Nach Lehrjahren zuvor in der Käferschänke oder den Schweizer Stuben in Bettingen hatte er in den 3 Stuben in Meersburg den Großmeister der Schule der Jungen Wilden, Stefan Marquard, kennengelernt und war ihm damals als Chef Tournant ins Münchner Restaurant Lenbach gefolgt.

Seit Juli 2008 führt Bernd Arold nun sein erstes eigenes Restaurant, den Gesellschaftsraum. Hier tragen seine Crew und er tapfer jene Insignien, die man offenbar benötigt, um in die feine Gesellschaft der Wilden Köche aufgenommen zu werden: grobe Ohrringe, Tätowierungen, Wollmütze harmonierend zu Ziegenbart und dunklem Arbeiterhemd mit rotem Stern.

Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Der Gesellschaftsraum ist ein richtig feines Lokal mit Stoffservietten, Tischläufern, perfekt gedimmtem Licht und Musik. Weil aber die Combo um Arold, ausgebildet in vielen guten Küchen Europas, die starren Regeln der Sterne-Gastronomie kennt, bricht sie diese umso gezielter. Wer mag, darf sein Tegernsee Helles direkt aus der Flasche trinken, und die frisch gebackenen Mini-Brote, wahlweise mit Rote-Beete-Tönung oder Ricotta-Minze-Geschmack, werden salopp in der Brotzeittüte auf den kleinen Teller zur Linken geworfen.

Von jenem tätowierten Chef de Rang, der nicht nur super locker, sondern super aufmerksam und super kompetent ist. Muss er auch, denn die Speisekarte ist erklärungsbedürftig. Etwa der anfangs genannte Kalte Palmrosahund, der mit Snickereis und Quitte angeboten wird. "Kennst das nicht? Ist ein Oma-Rezept nach dem Krieg", strahlt der Kellner den Gast an. Schön geschichtet kommen denn auch Kakao und Bisquit in Form dieses Kekskuchens an, der Kalte Hund duftet nach Rosenwasser, gebettet auf Quitte, das Snickereis im quadratischen Glas schmeckt tatsächlich nach dem gleichnamigen Schokoriegel.

Es heißt ja, dass Bernd Arold aus allem, wirklich allem, Eis macht, sogar aus Gemüselasagne oder Bier mit Pfirsich - aber das haben wir dann doch nicht gekostet.

Lieber war uns da das Knurrende Ibericokaninchen auf Peters Quitte als Zwischengang - butterweich die Quitte, das Kaninchen und der Knurrhahn hüllten sich adrett in Teig auf einem länglichen Teller. Denn die Philosophie des jungen Küchenchefs lautet, dass Fisch und Fleisch immer zusammen kommen. Der Charakter des Kaninchens verschwand hier leider unter einem zu intensiven Soja- und Kaninchenjus. Beim Hauptgang Salsicciapoulardensnapper mit Steinpilzrose und Rambutanspätzle trafen sich Wurst, Geflügelfleisch und Fisch dagegen zart im Gleichklang.

In einer Tasse hatten sich die Spätzle unter einer schönen Schaumkrone versteckt, so stark jedoch mit Salbei versetzt, dass man sich ein wenig an einen Sauna-Aufguss erinnert fühlte. Das Bouchotreh mit Austernananas und Teebeutel war wieder etwas ganz Besonderes. Der Teebeutel war in Wahrheit ein Windbeutel, gefüllt mit Teewurst, und es war erstaunlich, wie der mit dem wunderbaren Rehstück und der Bouchot-Muschel harmonierte.

Es bliebe noch zu schwärmen von der Preiselbeerpulpopoularde mit Kirschmohngnocchi, bevor man sich in den bequemen Plastikschalen-Stühlen aus dem siebziger Jahren zurücklehnt. Dazu ein Glas Riesling Großkarlbacher Burgweg von der kleinen, kundig ausgewählten Weinkarte, den einem der Kellner treffsicher ans Herz gelegt hat. Die Karte wechselt täglich, ein Drei-Gänge-Menue kostet 46 Euro, vier Gänge 55 Euro, und wer alles, wirklich alles schmecken möchte, zahlt für sieben Gänge 75 Euro.

Dazwischen kommen als kleine Aufmerksamkeit dieses Hauses etwa Spritzen, die mit rotem Wodka gefüllt sind und sich anregend-brizzelig mit Ahoibrause auf Löffeln vermischen lassen. Das wirkt noch nicht mal affig - weil hier das Experiment, den Mittelweg zwischen Molekularküche und Schmorochse zu finden, irgendwie gelingt.

Gesellschaftsraum, Augustenstraße 7, Telefon 55077793. www.der-gesellschaftsraum.de. Geöffnet Montag bis Samstag 18 bis 24 Uhr.

© SZ vom 16.11.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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