Gemeinden in München:"Brutale" Reform der Pfarreien-Landschaft

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Das Erzbistum reagiert auf den Priestermangel und Mitgliederschwund: Nur 47 der 747 Gemeinden dürfen eigenständig bleiben.

Monika Maier-Albang

Das Münchner Erzbistum will mit einer radikalen Strukturreform auf Priestermangel und Mitgliederschwund reagieren. Nach vorläufigen Planungen soll es bis zum Jahr 2020 im Erzbistum statt derzeit 747 nur noch 47 katholische Einzelpfarreien geben. Die übrigen Gemeinden werden in 232 Pfarrverbände, Stadt- oder Stadtteilkirchen zusammengefasst.

"Gott umarmt uns durch die Wirklichkeit": Erzbischof Reinhard Marx appelliert an die Katholiken, die Strukturreform beherzt anzugehen. (Foto: Foto: Schunk)

Am Samstag hatten sich die 123 Delegierten des "Zukunftsforums" in Freising getroffen, und den Tag über war viel von "Trauerarbeit" die Rede, die zu leisten sein werde. Projektleiter Klaus Franzl hatte sogar den Satz gesagt: "Im Tod liegt das Leben." Wie ernst dies gemeint ist, wurde den meisten aber erst bewusst, als die Ordinariatsleitung den in gelben Schnellheftern verwahrten "Entwurf der räumlichen Struktur der Erzdiözese München und Freising" austeilte. Davor war viel gelacht und gescherzt worden, nun wurde es still in der Aula des Kardinal-Döpfner-Hauses.

Das neue Konzept sieht vor, dass bis 2020 im Erzbistum lediglich 47 der insgesamt 747 Pfarreien ihre Eigenständigkeit behalten sollen. Die bisherige Planung für das Jahr 2010 ging noch von 199 Einzelpfarreien aus. Nun müssen sich 700 Pfarreien in Pfarrverbänden zusammenschließen, die künftig Pfarreiengemeinschaften heißen werden. Stadt und Region München trifft es besonders hart. Von 170 Pfarreien bleiben nur 23 eigenständig. Die meisten Gemeinden werden mit einer oder zwei Nachbarpfarreien zusammengelegt. Eine Reform, die selbst der Münchner Weihbischof Engelbert Siebler "brutal" nennt.

Auf die rund 700.000 Katholiken in der Region München kommen damit massive Veränderungen zu. Die Seelsorgeteams, die von einem "zur Leitung befähigten" Priester geführt werden sollen, sind zu einer "klugen Zentrierung pastoraler Aufgaben" angehalten, heißt es etwas verklausuliert im Entwurf. Konkret bedeutet das zum Beispiel, dass die Pfarreien sich etwa bei der Erstkommunion- oder Firmvorbereitung zusammentun müssen.

Eine Eucharistiefeier am Sonntag wird nur noch am Sitz der Pfarreiengemeinschaft garantiert - in den anderen Pfarreien kann, falls kein Priester zur Verfügung steht, ein Wortgottesdienst abgehalten werden. Vor allem für ältere Kirchenbesucher mit eingeschränkter Mobilität wird der Weg zur Messe damit weiter und beschwerlicher.

Die einzelnen Pfarrgemeinderäte sollen zwar weiter bestehen, aber ein übergeordnetes Gremium bilden, das verbindliche Absprachen und Zielvorgaben treffen muss. Der Pfarrer soll, um ihn zu entlasten, nur an den Treffen dieses Über-Pfarrgemeinderats regelmäßig teilnehmen.

Auch die Kirchenstiftungen bleiben erhalten, müssen aber ebenfalls verbindlich kooperieren. Alle hauptamtlichen Mitarbeiter - Kindergärtnerinnen, Mesner, Sekretärinnen oder Organisten - sollen zentral am Sitz der Pfarreiengemeinschaft angestellt werden. Die Reform sei zwar vor allem für München heftig, sagt der Vorsitzende des Diözesanrats, Alois Baumgartner. Er hält sie aber für richtig. "Es schadet keiner Pfarrei, über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen und von der Selbstversorgermentalität wegzukommen."

Wer mit wem kooperieren soll, ist in dem Strukturpapier festgelegt. Auch wenn in roter Schrift "Entwurf" über jeder Seite steht - man werde sicher keine "ganz ergebnisoffene" Diskussion über den Strukturplan führen, räumte Erzbischof Reinhard Marx ein. "Es gibt Rahmenbedingungen, die wir nicht beeinflussen können." Die Zuordnung einer Pfarrei zu einer Gemeinschaft könne im Einzelfall aber korrigiert werden.

Für "begründete" Änderungswünsche wurde ein Formblatt erstellt, das die Pfarreien bis Ende Februar ans Ordinariat schicken können. Wie sich die künftigen Pfarreiengemeinschaften zusammensetzen sollen, ist im Internet ( www.dem-glauben-zukunft-geben.de) einzusehen. An dem Entwurf haben die Büros der drei Regionalbischöfe mit den Dekanen und Personalplanern im Ordinariat zwei Jahre lang gearbeitet - also schon bevor Erzbischof Marx nach München gekommen ist.

Dass die Stadt bei der Neustrukturierung im Fokus steht, liegt daran, dass es in München bislang nur wenige Pfarrverbände gibt. Auf dem Land, vor allem im Norden des Erzbistums, wo es seit 30 Jahren Pfarrverbände gibt, sind sie bereits die Regel. Die meisten Einzelpfarreien in München sollen in der Innenstadt und in Schwabing erhalten bleiben, zum Teil wegen ihrer historischen Bedeutung, wie etwa die Dompfarrei oder St. Peter als älteste Pfarrei der Stadt. Auch Pfarreien, die in einem Zuzugsgebiet liegen - etwa Neuried - dürfen eigenständig bleiben. Ansonsten sei aufgrund "sozialer und lokaler Besonderheiten" entschieden worden, welche Pfarrei Einzelpfarrei bleibt.

Die Pfarreien, die kooperieren sollen, haben dabei die Wahl, ob sie fusionieren oder eine Pfarreiengemeinschaft bilden wollen. Die Grenzen dieser Verbünde seien so gewählt worden, dass sie möglichst mit den politischen Gemeindegrenzen übereinstimmten, sagt der zuständige Domkapitular Wolfgang Schwab. Auch gewachsene Beziehungen unter den Pfarreien würden berücksichtigt. In der Regel werden die neuen "pastoralen Räume" zwischen 6000 und 10.000 Katholiken umfassen. Im Raum München sind aber auch Zusammenschlüsse mit bis zu 16.000 Katholiken geplant, etwa in Germering, Neugermering und Unterpfaffenhofen, in Neuperlach oder in Moosach.

Mit dem Forum am Samstag hat ein eineinhalbjähriger Prozess begonnen, in dem die Gemeinden angehört und der Strukturwandel "rückgekoppelt" werden soll. Dass es dabei Ärger geben wird, weiß auch der Erzbischof, der den Delegierten noch eine Bitte mit auf den Weg gab. Sie mögen darauf achten, sagt Marx, dass die anstehende Diskussion "nicht in einem Handgemenge endet" nach dem Motto: "Wer rettet sich wie am besten aus dem Prozess". Er hoffe vielmehr, dass sich möglichst viele Gemeinden vor Ort "zamraufen". Und was passiert, wenn nicht, wird er gefragt. "Dann entscheide ich."

© SZ vom 13.10.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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