Gedenken:Lücken im Gedächtnis der Stadt

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Ein Spaziergang durch München kann eine Lektion in Geschichte sein, doch Spuren der Revolution finden sich kaum

Von Martin Bernstein

Ein Rundgang durch München auf den Spuren der Revolutionen und ihrer Akteure ist entweder sehr kurz - oder er ist tagesfüllend. Das liegt an den Verwüstungen des Zweiten Weltkriegs, dessen Ursprung nicht zuletzt in der einstigen "Hauptstadt der Bewegung" lag. Es liegt aber auch daran, dass sich das offizielle München der Nachkriegszeit mit den Protagonisten der Ereignisse der Jahre 1918/1919 lange sehr schwer getan hat. Kritiker wie der Münchner Künstler Wolfram Kastner finden, die Stadt tue das noch immer.

Schaut man zum Beispiel, nach wem die Münchner welche Straßen benannt haben, dann kann man das nach der Faustformel tun: je republikferner, desto näher am Zentrum. Dort haben die Wittelsbacher ihre Denkmäler und Plätze, und die Promenadegasse, in der Kurt Eisner am 21. Februar 1919 ermordet wurde, ist heute nicht etwa nach ihm benannt, nach Bayerns erstem republikanischen Ministerpräsidenten, sondern trägt seit 1952 ausgerechnet den Namen des erzkonservativen Kirchenfürsten Michael von Faulhaber. In Neuhausen gibt es eine Erhard-Auer-Straße, benannt nach dem bayerischen SPD-Vorsitzenden, der nach Eisners Ermordung im Landtag niedergeschossen wurde.

Und die Revolutionäre? In den Neubauvierteln Neuperlach und Ackermannbogen wurde Eisner gewürdigt, sein Sekretär Felix Fechenbach sowie Gustav Landauer, der die Prügelstrafe an Bayerns Schulen abschaffte und an den ein Denkmal im Waldfriedhof erinnert. Nach Erich Mühsam ist ein Platz in Schwabing benannt, der eigentlich nur eine Kreuzung ist. Ernst Toller war den Münchnern bislang keine Straße wert.

Bis also der Marienhof einmal Kurt-Eisner-Platz heißen wird, wie es Kritiker wie Kastner fordern, wird es wohl dauern. Ein Spaziergang durch die Innenstadt ist dennoch eine Lektion in Geschichte. Und in Geschichtsvergessenheit. Beginnen könnte er am Hauptbahnhof: Dort scheiterte am 13. April 1919 der Versuch, die Räte militärisch zu entmachten, der sogenannte Palmsonntagsputsch. Gebäudeteile von vor 100 Jahren sind dort freilich nicht mehr zu sehen, ebenso wenig im stadteinwärts gelegenen Mathäser-Komplex. Dort war einst kein Kino, sondern der Mathäser-Bräu, in dem am Abend des 7. November 1918 Arbeiter- und Soldatenräte die Macht übernommen hatten - die Voraussetzung für die Proklamation Bayerns als Republik. Daran erinnert dort immerhin eine Stele mit Eisners Konterfei im Erdgeschoss.

Danach sollte man zum Karolinenplatz gehen. Dort, vor dem Prinz-Georg-Palais mit der Hausnummer 5, steht ein rotes Schwein mit der Aufschrift "Gut für Bayern". Der Sparkassenverband, der im Palais residiert, hat die große Sparbüchse aufgestellt. Eine Gedenktafel gibt es nicht - dabei stünde sie diesem Ort gut. Nach der Eroberung Münchens durch "weiße" Truppen ermordeten Freikorps-Männer dort in der Nacht zum 7. Mai 21 Mitglieder des katholischen Gesellenvereins St. Joseph.

Gleich zwei Gedenktafeln erinnern dagegen an der Brienner Straße an das ehemalige Wittelsbacher Palais (heute: BayernLB). Im ehemaligen Wohnsitz des am 7. November 1918 aus München getürmten letzten Königs tagte der Aktionsausschuss der Räterepublik. "Ein Ort. Seine Geschichte" steht auf der Glasfassade des Neubaus. Dahinter erinnert eine Tafel daran, dass das Haus später Gestapo-Foltergefängnis war.

Nichts hingegen erinnert an Bayerns ersten Landtag an der Prannerstraße: Das Gebäude ist den Bomben des Jahres 1944 zum Opfer gefallen. Bayerische Geschichte und Weltgeschichte. Und wieder eine große Lücke im Gedächtnis der Stadt: Es gibt keine Tafel, kein Denkmal, keine Kunstinstallation. Gleich ums Eck im Pflaster die Umrisse eines Toten, derzeit zum Jahrestag geschmückt mit Kränzen, Rosen und Nelken: die Stelle, an der Kurt Eisner ermordet wurde. Ein zweites Eisner-Denkmal steht seit 2011 auf dem Oberanger, unweit der SPD-Zentrale. Im Auftrag des Stadtrats hat Rotraut Fischer die Raumskulptur geschaffen. Im Mittelpunkt ein Zitat aus Eisners Aufruf an die Münchner Bevölkerung vom 7. November: "Jedes Menschenleben soll heilig sein."

Die Geschichte sprach diesen Worten Hohn. Am 5. Mai tötete das Freikorps Lützow zwölf Perlacher Arbeiter im Garten des Hofbräukellers in Haidhausen. Ebenfalls von Freikorps-Männern wurde Gustav Landauer am 2. Mai vor seiner Einlieferung nach Stadelheim bestialisch ermordet. Zwei Tage zuvor hatten Rotgardisten elf Menschen, die meisten von ihnen Mitglieder der im Hotel Vier Jahreszeiten residierenden völkisch-antisemitischen Thule-Gesellschaft, im Luitpold-Gymnasium erschossen. Schauplatz dieser Tat war nicht das heutige Luitpold-Gymnasium im Lehel, auch wenn das sogar in Büchern mit wissenschaftlichem Anspruch behauptet wird. Die historische Schule stand an der Stelle des umgebauten Heizkraftwerks an der Müllerstraße. An die Toten der Revolution und den Terror der Freikorps erinnern auch zwei Denkmäler des Münchner Bildhauers Konstantin Frick auf dem Tegernseer Platz in Giesing und auf dem Ostfriedhof.

© SZ vom 26.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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