SZ-Serie: Bühne? Frei!:Zum Schreien

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Die Künstlerin Leonie Felle studierte zunächst Fotodesign und später Bildhauerei an der Kunstakademie München. Als Musikerin tritt sie mit Band unter dem Namen Leonie singt auf. (Foto: Privat)

Kultur-Lockdown, Tag 16: Die Musikerin schreibt ihrem Publikum über die Kraft der Wut

Gastbeitrag von Leonie Felle

Große Reden schwingen, liegt mir nicht. Deshalb halte ich die Ansagen bei unseren Konzerten gerne kurz. Ich finde, in meinen Liedern wird schon viel gesagt und es bleibt noch Raum für eigene Interpretationen. Jetzt wäre es an der Zeit, Klartext zu reden. Schluss mit den Interpretationsmöglichkeiten! Ich will nach draußen schreien, dass es eine ziemliche Scheiß-Zeit für uns Kulturschaffende ist, und wir sehr wohl einen großen, wertvollen Teil für unsere Gesellschaft beitragen! Haben das noch nicht alle begriffen?! Mir ist heute eher zum Schreien, als zum Singen zumute und gerne würde ich meinem Ärger Luft machen, aber ich tu's nicht. Der Rest ist Schweigen. Stille.

"Schön, dass Ihr da seid!" Das wäre wohl der erste Satz, den ich bei unserem nächsten Konzert gesagt hätte. Und ich hätte es so gemeint. "Danke an Euch Leute da draußen, die sich für Kunst und Kultur stark machen! Ich bin froh, dass sich viele in diesem Sommer so großartig engagiert haben, um uns Künstlerinnen und Künstlern eine Bühne zu ermöglichen. Ich habe Euch alle vermisst und bin glücklich, hier zu sein und in Eure Gesichter schauen zu können." Die wohltuende Anwesenheit von Menschen, das warme Scheinwerferlicht auf dem Gesicht und den Applaus in den Ohren. Es gibt nichts Besseres für mich als Künstlerin, als gehört zu werden. Nein, die Live-Streams können das niemals ersetzten. Es ist ein seltsames Gefühl, in einem Raum ohne Publikum zu spielen. Das Gegenüber fehlt. Ich brauche Euch! Ich würde alles tun, um bei Euch sein zu können. Koste es, was es wolle, oder sei es eben umsonst. Doch irgendwoher beschleicht mich das Gefühl, dass ich Euch mehr brauche, als Ihr mich. Braucht Ihr mich etwa nicht? Unsicherheiten tun sich auf. Zweifel.

Ich schüttle den Kopf, um die schlechten Gedanken zu vertreiben, und höre mich selbst sagen: "Das nächste Lied heißt ,Es ist ja noch nicht aller Tage Abend'." Dann fange ich an zu singen.

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© SZ vom 17.11.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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