SZ-Serie: Bühne? Frei!:Bussi Bussi mit Bierfahne

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Evi Keglmaier singt, spielt Bratsche, Geige und Tuba auch bei der "Hochzeitskapelle" und bei ihrem Solo-Projekt Keglmaier. Das gleichnamige Album ist bei Trikont erschienen. (Foto: Evi Lemberger)

Kultur-Lockdown, Tag 37: Die Musikerin träumt von sorglosen Sommerkonzerten

Gastbeitrag von Evi Keglmaier

Vor ein paar Tagen habe ich auf einer Beerdigung gespielt, und es war auf eine gewisse Weise herrlich! Zum einen, weil ich das als eine wichtige Aufgabe als Musikerin sehe - etwas, das ich "musikalische Lebensbegleitung" nenne. Den meisten Trauernden tut es gut, wenn ein Begräbnis von Musik umrahmt wird: Sie hilft, Emotionen ohne Worte zu kanalisieren, Brücken zu schlagen zwischen der Vergangenheit und dem Jetzt. Sie berührt, und das in einer Zeit, in der so wenig berührt wird wie nie zuvor.

Zum anderen liebe ich generell den direkten Austausch zwischen Musiker und Zuhörer, dieses gleichwertige Geben und Nehmen, Be-Rührung gegen menschliche Reaktion, was in letzter Zeit viel zu selten stattgefunden hat. Ausgerechnet der Tod hat mir das schönste Live-Erlebnis seit langem beschert!

Manchmal habe ich den Impuls, in einen livestream- und onlineadventskalenderlosen Winterschlaf zu fallen. Dann träume ich vom Sommer und von Theatern, in denen 500 Leute sitzen, sofern 500 Leute darin Platz haben; auf übervollen Konzerten machen wir dann Bussibussi (einfach, weil wir es können!) und erschnuppern freudig die Bierfahne des Gegenübers - das wäre schön. Aber das Virus und die Lockdown-Entscheider haben bekanntlich andere Pläne.

Und da ist sie wieder: die Angst, den Anschluss zu verlieren, zu lange zu wenig sichtbar gewesen zu sein. Vom Publikum vergessen zu werden, weil andere das mit der Social-Media-Präsenz irgendwie besser hinkriegen als man selbst. Zweifel, ob das eigene Lebensmodell, das zwölf Jahre lang nicht zuletzt dank eines gewissen Urvertrauens überraschend gut funktioniert hat, einen weiterhin tragen kann. Beklemmung, weil man Lebenszeit vielleicht nicht genügend produktiv nutzt. Aber für wen produziere ich gleich nochmal? Und ist es nicht egal, ob ich mir heute ein neues Lied ausdenke oder in zwei Monaten?

Die Existenzängste haben sich längst in der Nackenmuskulatur manifestiert - und wie wäre es eigentlich mal mit einem krisensicheren Job? Ich entscheide mich fürs Aussitzen, schreibe ein wenig und unterrichte meine Geigen- und Bratschenschüler mit Maske, solange es mir nicht verboten ist. Ich entscheide mich für adventlichen Kommerz und preise bis zum Fest weniger dezent als sonst ("Leute, rettet doch mal bitte die Kultur!") sämtliche Tonträger aller meiner Bands und von befreundeten Kollegen als Geschenke an. Ich entscheide mich für einen kleinen angemieteten Arbeits- und Überaum außerhalb der Wohnung, der helfen soll bei der Strukturierung der Tage, an denen nicht viel passiert.

Im Überaum übe ich mich in positivem Denken.

Ein Stammkunde eines niederbayerischen Dorfladens kommentierte bei der Inhaberin im April den Aufbau der Plexiglasscheibe an der Kasse mit: "Mei Lisi, jetz hamma de Gaudi beinand!" Wie viele Freiberuflerexistenzen wird sie wohl kosten, diese Gaudi? Nochmal zurück zur eingangs erwähnten Beerdigung: Wer musiziert eigentlich, falls wir unsere Livekultur zu Grabe tragen müssen? Vielleicht ja Spotify, im schwarzen Frack und mit einer Träne im Auge ...

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© SZ vom 08.12.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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