Fußball-Regionalliga:Von Flucht und Heimkehr

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Mohamad Awata und Sebastiano Nappo verließen Heimstetten, um Profis zu werden. Nun wollen beide den Klub zum Regionalligaverbleib führen.

Von Andreas Liebmann, Kirchheim

Die linke Hand platziert das Smartphone auf dem Tisch, das sei die Türkei, erklärt Mohamad Awata. Die gefaltete grüne OP-Maske rechts daneben soll eine griechische Insel sein. Es donnert, ein Gewitter zieht fern des Heimstettener Sportparks vorüber. Das passt etwas besser zu Awatas Geschichte als Sonnenschein, aber natürlich müsste es viel dunkler und bedrohlicher sein. Und auch dann könnte sich kaum jemand vorstellen, wie das wirklich war mit der Strömung und den Wellen, die Awata nun mit Handbewegungen veranschaulicht; wie er in jener Januarnacht 2016 in einem der Schlauchboote saß, die etwa so groß waren wie bis zur übernächsten Sitzreihe hier im Biergarten, neun Meter vielleicht; dicht gedrängt mit 75 anderen, die Rücken klatschnass, nichts zu sehen als ein kleines rotes Licht am Horizont, auf das sie zusteuern sollten; und wie es sein kann, dass nur drei der sieben Boote es schafften und die anderen einfach verschwanden, verschluckt von den Wellen, mit all den verzweifelten Menschen darin, irgendwo dort, wo jetzt zwischen Handy und Maske die rote Oberfläche eines Biertischs zu sehen ist.

Es soll eine Unterhaltung über Fußball sein, über die Rückkehr des Stürmers Mohamad Awata zum SV Heimstetten, der in der Regionalliga zurzeit auf Rang 13 steht. Ein kurzes Gespräch, gleich ist Training. Trotzdem erzählt Awata auch von der Flucht aus Syrien, 18 Tagen, in denen er über die Türkei, Griechenland, Mazedonien, Serbien, Kroatien, Slowenien, Österreich bis nach Deutschland floh. In diesem Sommer wollte er sich einige der 13 Bombensplitter entfernen lassen, die er im Körper trägt, seit in Syrien neben ihm eine Bombe explodierte. Er sei leider nicht dazu gekommen, erzählt er lächelnd. Awata, 27, hat sein Deckhaar zu einem Zöpfchen gebunden, ein Hauch von Samurai, er wirkt fröhlich wie fast immer, zuversichtlich. Er zeigt auf eine Beule auf der Stirn, groß wie eine Ein-Cent-Münze: Dort sitzt einer von fünf Splittern in seinem Kopf. Die in den Beinen sind größer, ein Eingriff dort würde ihn zwei, drei Monate lang vom Fußball abhalten. Das will er nicht.

Etwas später wird sich Sebastiano Nappo auf diesen Platz setzen, ebenfalls zu einem kurzen Gespräch über Fußball, ebenfalls über seine Rückkehr zum Regionalligisten. Sie haben einiges gemeinsam, Awata und er, mehr als nur die tiefdunklen Augen und die roten Trainingsanzüge. Beide sind zurückgekehrt, weil sie sich hier mal sehr wohl gefühlt haben, beide haben nun das Ziel, Heimstetten zum Klassenerhalt zu führen. Awata hat das schon einmal geschafft, in der Rückrunde der Vorsaison, ein starkes halbes Jahr mit fünf Treffern in 13 Ligaspielen und einem weiteren in der Relegation. Nappo hatte den Verein ein Jahr zuvor erst in die Regionalliga geschossen, mit 28 Bayernliga-Toren. Dann gingen beide fort, um Profis zu werden.

Sebastiano Nappo, 25. (Foto: Lackovic /imago)

2011 wurde Nappo, heute 25, mal deutscher Meister der Schulen, im Finale erzielte er für die Taufkirchner Walter-Klingenbeck-Realschule das Siegtor. Kein ganz unwichtiges Ereignis. Nach neun Jahren war er vom FC Bayern in die Jugend der SpVgg Unterhaching gewechselt, an der Seitenlinie stand nun für sein Schulteam der Lehrer Manuel Baum. Als Nappo dann sieben Jahre später, nach den Stationen Ismaning und Heimstetten, zum FC Augsburg ging, war derselbe Baum dort Cheftrainer.

In Awatas Leben spielt das Jahr 2011 eine andere Rolle. Da begann in seiner Heimat der Bürgerkrieg. Bomben flogen. Eine schlug vor einigen Jahren in sein Haus ein. Er selbst hatte Glück, war arbeiten. Seine Mutter und sein Onkel starben. Er hat das alles schon oft erzählt, seinen Mitspielern in der Kabine des TSV 1860 München, wo er seinen ersten Vertrag in Deutschland erhielt, auch vielen Journalisten. "Krieg ist nicht lustig", sagt er jetzt nur.

Für Nappo, den Italiener, der im behüteten München geboren und aufgewachsen ist, war die Rückkehr zum SV Heimstetten naheliegend. Als er sich setzt, ruft ein älterer Herr vom nächsten Tisch hinüber: "Gute Entscheidung!" Nappo grüßt zurück, lächelt. "Ich hätte mich in den Arsch gebissen, wenn ich es nicht probiert hätte", sagt er über seinen Versuch, in Augsburg Profi zu werden. Als Bayernliga-Torschützenkönig lief es nicht schlecht in der U23 der Schwaben, im ersten Jahr erzielte er acht Treffer, davon zwei gegen Heimstetten; im zweiten sechs. Mit den Profis durfte er aber nur dreimal trainieren. Körperlich sei es dort ganz anders zur Sache gegangen, auch vom Tempo her. Der Sprung wäre eben doch vier Ligen hoch gewesen. Nappo ist mit sich im Reinen. Seine Ausbildung zum Groß- und Außenhandelskaufmann hatte er zuvor schon abgeschlossen, sein erster Chef habe seine Entscheidung für Augsburg unterstützt, nach zwei "coolen" Jahren ist dieses Kapitel eben vorbei. "Jeder weiß, dass ich mich hier wohlfühle", sagt er nun über Heimstetten; und mit Blick auf den Nebentisch ergänzt er: "Dass ich gern gesehen bin, merke ich." Von 2014 bis 2018 hat er schon hier gespielt. Für Nappo war es immer wichtig, sich wohlzufühlen. An diesem Samstag (14 Uhr) geht es mit dem Ligapokal los. Als Gast kommt ausgerechnet der FC Augsburg II.

Mohamad Awata, 27. (Foto: imago images/foto2press)

Awata und Nappo kehren beide zu einem Klub zurück, an den sie "gute Erinnerungen haben", sagt Trainer Christoph Schmitt, und das beruht auf Gegenseitigkeit. Schmitt ist über beide "sehr glücklich". Er erinnert an Awatas starke Rückrunde 2019. Der Syrer selbst sieht sich im Mittelfeld, Schmitt jedoch kennt ihn nur als Stürmer und plant ihn entsprechend ein: "Uns fehlt genau dieser Spielertyp, groß, kräftig, wir brauchen ihn als Wandspieler." Und Nappo sei damals nicht nur ihr Torjäger, sondern auch ihr Spielgestalter gewesen. Beide kehren in ein Umfeld zurück, in dem es schon funktioniert hat, in dem jeder weiß, was sie draufhaben, Trainer, Mitspieler, Fans. Zusammen haben sie bisher noch kein Punktspiel bestritten. Als der eine kam, war der andere schon weg. In den Tests lief es gut.

Awata will weiterhin Profi werden. Das war der Traum seines Vaters, damals, als er dem Sohn zur Flucht verhalf. Sein Vater, der Bruder und eine der drei Schwestern leben noch in Damaskus, erzählt er, alles in flüssigem Deutsch. Sie stünden ständig in Kontakt. "Schlechte Zeit, selten Strom, wenig Essen." In Syrien war er Junioren-Nationalspieler, bei 1860 verpasste er den Sprung in den Profikader, kam an Sascha Mölders und Timo Gebhart nicht vorbei. Ging zu Al-Jazeera, einem jordanischen Erstligisten, wo es "Probleme mit dem Geld" gab. Von Heimstetten aus weiter nach Schweinfurt, ein Regionalligist mit Profiambitionen. Diesmal kam er nicht an Adam Jabiri vorbei, einer "Legende". In 17 Einsätzen, meist von der Bank kommend, gelang Awata kein Tor. Dabei hatte der Trainer Spieler gesucht, die sich zerreißen. Das kann Awata wie nur wenige. Drei Jahre seiner Entwicklung habe der Krieg ihm geraubt, rechnet er vor, und als Fußballer in Deutschland sei er ja "erst drei Jahre alt". Kann alles noch werden, soll das heißen. Andererseits ist er schon 27. An eine Ausbildung denkt er noch nicht, lieber will er einen Trainerschein machen. Weiter mit Fußball Geld verdienen. Nach sechs Jahren mit festem Einkommen dürfte er unbefristet in Deutschland bleiben.

Wenn es gut läuft, könnte in Heimstetten die Erinnerung an ein magisches Dreieck aufleben. Nappo, Lukas Riglewski und Orhan Akkurt erzielten im Aufstiegsjahr 67 Tore. Doch das war Bayernliga, warnt Nappo. Eine Klasse tiefer. Außerdem sei Routinier Akkurt, der inzwischen für Ismaning stürmt, "der beste Neuner", mit dem er je zusammengespielt habe, und deshalb schwer zu ersetzen. Awata dagegen kennt er erst seit knapp drei Wochen. "Im Training gibt er richtig Gas, so viel kann ich sagen." Und dass er sehr offen sei. Immer motiviert. Und: "sehr lebensfroh". Das ist erstaunlich genug.

© SZ vom 26.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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