Zum 295. Mal:Ein ungewöhnlicher Kirchgang

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300 Reiter und Kutschen kommen zum Willibaldritt nach Jesenwang, der auf ein Gelöbnis aus dem Jahr 1712 zurückgeht. Einzigartig ist dabei der Brauch, den Zug mitsamt Pferden durch das Gotteshaus zu führen

Von Ariane Lindenbach, Jesenwang

Es ist kein normaler Sonntag in Jesenwang. Das merkt man nicht nur an der Straßensperre, die einen auf Höhe der Sankt-Willibald-Kapelle weg von der Staatsstraße 2054 über eine schmale Straße ins Ortszentrum leitet. Dort wirkt es auf den ersten Blick seltsam unbelebt. Doch das täuscht. Der Eindruck entsteht nur, weil gerade über die sonst so belebte Hauptstraße keine Autos fahren. Aber Menschen sieht man jede Menge. Im Schatten der Häuser entlang der Straße versammeln sich allmählich kleine und größere Menschengrüppchen, einige sitzen gemütlich auf herausgetragenen Stühlen und Sofas. Immer wieder kommen Reiter und Kutschen mit prächtig geschmückten Pferden und feierlich herausgeputzten Menschen vorbei und verschwinden in Seitenstraßen. Sie versammeln sich dort für die Aufstellung zum 295. Willibaldritt.

Die Blaskapellen untermalen das Geschehen. (Foto: Günther Reger)

"Heute müssen wir das alles in die Länge ziehen, sonst ist der Platz hier vor dem Gemeindehaus und die Straße voll mit Pferden", erklärt der Kommandant der Freiwilligen Feuerwehr Jesenwang, Werner Peschke. Weil aber in diesem Jahr der Vorplatz des Gemeindehauses und die Straße erneuert werden, wird die Aufstellung der etwa 300 mitwirkenden Pferde in diesem Jahr über diverse Seitenstraßen organisiert. Etwa 30 Mann, "ungefähr drei Viertel der Mannschaft", sind laut Peschke diesmal damit beschäftigt, den Verkehr sowie die Aufstellung zu regeln.

Grob 300 Pferde reiten durch Jesenwang. (Foto: Günther Reger)

Während die Zuschauergrüppchen entlang der Hauptstraße weiter wachsen, wartet auf einem Parkplatz an der Hauptstraße eine imposante Kutsche - ein aufwendig bemalter Truhenwagen mit illustrer Gesellschaft oben drauf - auf den Start. Der Wagen gehört der Gemeinde Jesenwang, erklärt Josef Gottschalk aus Dachau. Ihm gehören die beiden geschmückten Kaltblutschimmel. Die Pferde tragen mit viel Silber verziertes Fahrgeschirr, wenn sie den Kopf bewegen, klingeln die Silberglöckchen um ihren Hals. Nach Jesenwang komme er schon seit mehr als 30 Jahren, berichtet Gottschalk, der mit seinen Rössern auch sonst bei vielen Umzügen mitfährt. "Seit 51 Jahren fahr' ich auf Bruck zum Leonhardi-Ritt", sagt der Dachauer.

Politiker wie die CSU-Bundestagskandidatin Katrin Staffler (in der Kutsche, vorne) sind auch da. (Foto: Günther Reger)

Mit nur ein paar Minuten Verspätung setzt sich der Zug in Gang. Seit 295 Jahren findet er statt, zum Dank an den Heiligen Willibald, den die Jesenwanger dafür verantwortlich machen, dass er ihre Tiere, insbesondere die Pferde, vor Krankheit und Unbill schützt. Ursprünglich ist Willibald zwar kein Schutzpatron der Tiere. Doch als vor knapp 300 Jahren eine Seuche wütete, die vor allen Dingen Rösser dahinraffte, beteten die Jesenwanger in der kleinen Sankt-Willibald-Kapelle auf dem Hügel vor dem Ort. Offenbar half es so gut, dass sie seither den Willibaldritt organisieren.

Der Heilige Willibald darf nicht fehlen. (Foto: Günther Reger)

An der Spitze des Zuges reitet, wie schon seit 20 Jahren, der sogenannte Kreuzreiter Leonhard Schmid. Er trägt ein geschmücktes Kreuz mit einer Jesusfigur und wird flankiert von zwei weiteren Reitern, es folgt eine weitere Dreiergruppe in Normalgröße - dann kommen die Shetland-Ponys, die zwischen all den großen Pferden noch ein Stück kleiner wirken. Auf ihnen sitzen Kinder, manche werden von ihren Eltern geführt oder zumindest begleitet.

In den Zuschauerreihen werden Hälse gereckt, Kommentare getauscht, Fotos gemacht. Stolze Eltern winken ihren Kindern zu. Als der Zug einmal etwas ins Stocken gerät und die Blaskapelle Jesenwang sich den Pferden vor ihr nähert, werden die etwas nervös. Aber die beiden routinierten Reiterinnen können sie rasch beruhigen und der Zug geht ohnehin schon wieder weiter.

Die Pferde und ihre Reiter respektive Kutscheninsassen passieren die Pfarrkirche Sankt Michael und gelangen dann über die Römerstraße zur Kapelle des Heiligen Willibald. Die umrunden sie, bevor sie sich auf der Wiese vor dem kleinen Kastanienhain, versammeln. Im Schatten der Bäume haben die Jesenwanger einen Biergarten errichtet. Neben Bier und alkoholfreien Getränken gibt es Willibald-Brezen und Willibald-Braten, beides ohne den Namen des Heiligen wohlbekannt als Riesenbrezen und Schweinebraten.

Von der nahen Kapelle weht aufgeregtes Glockenläuten her. Als Mensch und Tier versammelt sind, spielen die Blaskapellen die Bayernhymne. Bürgermeister Erwin Fraunhofer tritt ans Mikro: "Es ist schön, dass in unserer modernen Gesellschaft die Tradition immer mehr auf Interesse trifft", freut er sich. Der Vorsitzende des ausrichtenden Vereins, Freundeskreis Sankt Willibald, dankt allen Beteiligten für ihr Engagement. "Das läuft in Jesenwang wie ein Uhrwerk", lobt Martin Schmid die Zusammenarbeit. Und grüßt zwei Reiter besonders, eine, die aus Aachen angereist ist, und einen, der zum 35. Mal dabei ist. Wolfgang Huber, der katholische Pfarrer, überbringt den Segen von beiden Kirchen. Er lädt "die größeren und die kleineren Tiere", also auch die Hunde ein, zum Abschluss durch die Kapelle zu ziehen, wie es in Jesenwang seit Jahren Brauch und in Europa einmalig ist.

© SZ vom 10.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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