Wortkunst:Poetry der Spitzenklasse

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Die Slammerin und Poesiepädagogin Meike Harms gibt im Kurs ihre Erfahrungen an die Teilnehmenden weiter. (Foto: Günther Reger)

Meike Harms gewinnt Wettstreit der scharfen Worte in Eichenau

Von Sonja Pawlowa, Eichenau

Unterhaltung kann auch kämpferisch sein. Besonders, wenn sich Frauen am Vorabend des internationalen Frauentags einen Wettstreit der scharfen Worte liefern. Meike Harms ist zu ihrem Auftritt mit dem Fahrrad aus Gilching "gekommen, um zu siegen". Das hat sie wahr gemacht.

Gast und Publikumsmagnet Fee Brembeck ist in Eichenau aufgewachsen. Sie trägt ein figurbetontes Kleid im 50s-Look. Der Stoff ist mit einer Comicfigur bedruckt: Wonder Woman, die Superfrau mit Superkräften. Besser kann man Frauenpower nicht visualisieren. Denn Frauenpower und Feminismus ist das Thema des Weltfrauenkampftags. Brembeck führt durch einen Poetry-Slam, mit dem die SPD Eichenau eine jüngere Frauengeneration aktivieren will. Vier WortkünstlerInnen verblüffen, rütteln auf, erschüttern und bringen das Publikum zum Lachen. Das ist geballte Unterhaltung mit Tiefgang.

Gertrud Merkert organisiert traditionell den Frauentag am 8. März. Sie hat die Friesenhalle mit Rosen geschmückt, die an das alte Lied "Brot und Rosen" aus der Frauenbewegung erinnern sollen. Vor hundert Jahren ging es um gerechten Lohn und menschenwürdige Arbeitsplätze. Die Generation um Fee Brembeck will noch mehr: Gleichberechtigung in allen Bereichen. Auch beim Sex. Fee verstört mit "Fee-tisch", einem erotischen Text. Konkreter kann angewandter Feminismus gar nicht sein. Das Schockierende ist: Es klingt frech. In Berlin kommen Passagen wie "Mach's mir im Busch. Vögel mir eine Frisur" gut an, auf dem Land eher nicht.

Für die Gewinnerin - beim Poetry-Slam gewinnt, wer den lautesten Applaus einheimst - Meike Harms sind Ungleichheit und Freiheit die zentralen Themen. Nicht nur, dass ihre Texte sprachliche Meisterwerke sind, es gelingt Meike, bebilderte Geschichten zu erzählen und sogar mit philosophischen Themen das Publikum zum Lachen zu bringen. Die Quadratur des Kreises eigentlich. Da geht es um die Freiheit, die von einer lähmenden Anzahl von Entscheidungsmöglichkeiten bis zur virtuellen Gefangenschaft durch absehbare Konsequenzen reichen kann. Tiere wie "Fink Positive", "Fink Deep" und "Fink Twice" erklären in Parabel-Manier komplizierte Zusammenhänge der Gesellschaft. Die Zugabe, ein Mitmach-Text über den Wettstreit des inneren Faultiers mit den Kontrahenten "Schaff-mal-was" und "Lass-das-lieber" gerät durch den Publikumschor zu einem bombastischen Musikstück. Eine reife Leistung einer klugen Frau, die übrigens nebenher als Musikpädagogin arbeitet.

Ezgi Zengin steht vor ihrem Staatsexamen zur Grundschullehrerin. Das "in" am Wortende ist ihr wichtig, Gendersprache überhaupt. Und Sprache allgemein. Ihr begegnet immer wieder die Unterstellung, dass sie keine Deutsche sein könne - bei diesem Namen. "Sie sprechen ja so gut Deutsch." - "Danke. Sie auch." Oft sind es nur Kleinigkeiten, die den Unterschied ausmachen. Beispielsweise ihr für Deutsche unaussprechliche türkische Name. Ezgi heißt "Melodie", falsch betont bedeutet er einfach nur "alt". Die Melodien, die Isabell Sterner durch Versmaß, Rhythmus und Stimmvariationen beim Vortrag zaubert, bilden die Aura einer Kurzgeschichte. Sie erzählt von frischen und alten Paaren, von Beziehungen und Einsamkeit. Isabell beobachtet ihr Umfeld, sagt sie. Für eigene Erfahrungen ist sie mit ihren 19 Jahren noch zu jung. Literatur und Musik sind ihr wichtig, sie hat ein Theaterstück geschrieben, spielt Klavier und Trompete. Schon jetzt wird sie für Auftritte jenseits der Landesgrenzen gebucht.

Die Stimmungsbreite des Publikums in der Friesenhalle beweist eine hohe Elastizität, denn stete Wechsel von Amüsement zu Betroffenheit, von Mitgefühl bis Brüskierung folgen mit jeder neuen Darbietung. Bei Anni Hengst und ihren harten Texten über sexuellen Missbrauch und Gewalt ist das Surren der Scheinwerfer deutlich zu vernehmen, eingefroren und mit offenem Mund lauschen Annis Zuschauer den wahren Geschichten, denen immer eine Triggerwarnung vorausgeht. Anni Hengst spricht über typische Fälle, die sie in ihrer Arbeit mit traumatisierten Jugendlichen in der Kinder- und Jugendambulanz kennengelernt hat. "Ich war geschockt, dass es das wirklich hier und jetzt gibt. Ich bin froh, dass ich verschont geblieben bin," sagt Anni.

© SZ vom 11.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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