Wohnen:"Es gibt gute Alternativen zum Einfamilienhaus"

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Im SZ-Interview erläutert der Fürstenfeldbrucker Stadtbaurat und Planer Martin Kornacher, wie der Bevölkerungszuwachs das Bauen im Landkreis verändern könnte. Neue, urbanere Strukturen lassen sich durchaus mit einer guten Wohnqualität vereinbaren

Interview Von Gerhard Eisenkolb, Fürstenfeldbruck

Die Räumliche Entwicklungsstrategie für den Landkreis geht davon aus, dass bis zum Jahr 2040 ein jährliches Bevölkerungswachstum von einem Prozent durchaus zu verkraften wäre. Das wären bei zurzeit etwa 215 000 Landkreisbewohnern in 23 Jahren 50 000 bis 60 000 Menschen mehr. Im Interview mit der Süddeutschen Zeitung äußerst sich der Fürstenfeldbrucker Stadtbaurat und Stadtplaner Martin Kornacher dazu, ob und vor allem wie ein solcher Bevölkerungszuwachs zu bewältigen ist.

SZ: Viele verbinden mit dem prognostizierten Bevölkerungswachstum von nicht ganz 20 Prozent eine Horrorvision und den Kollaps der Verkehrs- und der sonstigen Infrastruktur. Ist ein solches Ziel trotzdem realistisch und machbar.

Martin Kornacher: Es geht nicht nur um die Machbarkeit, sondern auch um die Frage, ob man das will. Ich halte es für möglich. Die Umsetzung hängt aber davon ab, welche Baustruktur man will und befördert. Ein solches Mehr an Menschen könnte auch dazu führen, dass wir ein weiteres flächenhaftes Wachstum wie in den Fünfziger-, Sechziger- und Siebzigerjahren hätten. Die Flächen dafür stehen aber nicht zur Verfügung. Wir sollten uns fragen, in welchen alternativen Wohn- und Baustrukturen die Menschen wohnen, leben und arbeiten wollen.

Wie würde ein solches Wachstum die Siedlungsschwerpunkte im Osten des Landkreises und die ländlichen Gemeinden im Westen verändern?

Das hängst von der Strategie der einzelnen Gemeinden ab. In Fürstenfeldbruck sollten wir versuchen, urbane Strukturen zu schaffen, nicht nur reines Wohnen, mit einer gewissen Dichte. Das können Übergangsformen vom verdichteten Einfamilienhaus- zum Geschosswohnungsbau sein. Wobei darauf zu achten ist, relativ kleinteilig vorzugehen. Auf diese Weise wäre eine vergleichsweise hohe Siedlungsdichte zu erreichen, mit ruhigen qualitätsvollen Freiräumen.

Müssen wir uns also von den bisher üblichen Verfahren und der Erfahrung verabschieden, dass eine Kommune nur wächst, wenn sie auf der grünen Wiese neue Baugebiete ausweist und jeder sein Eigenheim und nach Möglichkeit drum herum auch noch seinen eigenen Garten hat?

Ja. Das sind keine riesigen, sondern nur unterschiedliche Häuser. Vom Grundtyp her haben sie zwei bis drei Geschosse, vielleicht noch mit einem Dachterrassengeschoß darüber. Sie werden in der Regel an einer Seite eine gemeinsame Wand mit einem Nachbargebäude haben und können teilweise auch ohne Vorgarten direkt am Straßenrand stehen.

Zu solchen urbanen Quartieren gehört mehr als nur Wohnungen.

Richtig, da sollte es Läden geben und auch Orte, an denen gearbeitet und Geld verdient wird sowie verschiedene Freizeit- und Kultureinrichtungen. Urbane Quartiere gibt es nicht nur in Großstädten. Um diese Wohn- und Arbeitsform zu fördern, hat der Gesetzgeber erst kürzlich die Lärmwerte etwas runtergeschraubt.

Solche gravierenden Veränderungen werden den Anwohnern und Betroffenen aber nicht immer passen.

Was deshalb wichtiger ist, als nur die planerischen Aspekte zu betrachten, ist mit den Bürgern und Anwohnern einen Aushandlungsprozess zu beginnen, um auszuloten, was für beide Seiten wünschenswert, machbar und verträglich ist.

Das wäre eine neue Form des Planens. Die Betroffenen, die Bürger planen mit der Bauverwaltung ihr Quartier mit.

Ja, ich denke an ein stärker bürgerbeteiligendes und anliegerbeteiligendes Verfahren. Wobei man nicht nur die Anlieger einbeziehen sollte, die ja ihre Eigeninteressen haben. Es gibt noch andere, ebenso wichtige Belange von Bürgern in der Stadt, zum Beispiel den Bedarf nach bezahlbarem Wohnraum oder nach kurzen Wegen zur Arbeit.

Ist das der Abschied von der bisherigen Bauleitplanung?

Nein, im Prinzip bleiben die Verfahren gleich. Man legt nur den Schwerpunkt auf andere Dinge. Man muss die Betroffenen mitkommen lassen und ihnen die Möglichkeit geben, sich gedanklich einzubringen. Nicht nur bei Planungen im Bestand ist Geschwindigkeit nicht immer ein Garant für Qualität und kann so viel Ärger erzeugen, dass die Projekte scheitern würden.

Das verlangt von allen Beteiligten, auch von den Entscheidungsträgern, sich von alten Denkmustern zu verabschieden.

Nehmen wir nur die Bürger. Hier gibt es Leute, die wollen, dass in ihrem unmittelbaren Lebensumfeld alles bleibt, wie es ist. Das muss man erst mal ernst nehmen. Es gibt aber auch die Menschen, die bei uns im Wohnungsamt stehen, weil sie dringend eine bezahlbare Wohnung suchen. Und dann haben wir noch die Menschen, die für sich etwas verwirklichen, etwas bauen wollen.

Werden solche Aspekte berücksichtigt, wird der Stadtplaner zum Soziologen.

In gewissem Maße ja. Stadtplaner sind eh halbe Soziologen, man muss einen Einblick in viele Nachbarbereiche haben. Und schauen, dass man offen bleibt und von Entwicklungen andernorts profitiert, ohne die zu kopieren.

Wovon hängt es ab, dass ich mich in meinem Viertel wohl fühle? Was bringt Lebensqualität?

In erster Linie hängt es von den Menschen ab, die um mich herum leben. Als zweites kommen die räumlichen Strukturen dazu. Also was gebaut ist, die Freiräume, die Infrastruktur - als gebaute Bühne für das, was man als sein Leben betrachtet.

Zurück zum Ausgangspunkt. Hätte die Stadt Fürstenfeldbruck im Jahr 2040 anstelle von zurzeit 36 000 Bürgern annähernd 45 000 Einwohner, wo und wie würden die Neubürger wohnen?

Etwa die Hälfte des Wachstums fände in Bereichen statt, in denen Baurecht vorhanden ist. Circa 15 Hektar schon existierenden Baurechts ist in Fürstenfeldbruck noch nicht ausgeschöpft. Also über Baulücken, Anbauten, das Aufstocken von Gebäuden. Die zweite Hälfte wird in neu geschaffenen Baugebieten wohnen. Ersteres ist die Form des Einsickerns ins Bestehende, das andere die stadtplanerische Tätigkeit. Die Kreisstadt versucht, durch Innenentwicklung zu wachsen, durch ein Einfügen neuer Bauelemente in ein bestehendes Gefüge. Man agiert in Gebieten, in denen es bereits Nachbarn gibt, die sich Sorgen machen, dass der Verkehr zunimmt und Freiflächen weniger werden.

Die Wohnform der Zukunft im Landkreis sind also Mehrfamilienhäuser. Hochhäuser werden ja hoffentlich die Ausnahme bleiben und das hier für Jahrzehnte dominierende Einfamilienhaus hat in vielen Bereichen wohl ausgedient.

Die Jahrzehnte der Suburbanisierung sind wohl vorbei. Es gibt gute Alternativen zum Einfamilienhaus. Deshalb sollte es auch nicht mehr die dominierende Wohnform sein, und nicht mehr Bestandteil der Strategie sein, wie wir unsere Stadtentwicklung betreiben.

Wie könnten dann Neubaugebiete aussehen?

Sie werden auch das eine oder andere Reihenhaus, eine verdichtete Wohnform, enthalten, aber in einem gleichen Maß auch Häuser mit drei Geschossen und eventuell noch einem vierten Dachterrassengeschoss. Solche Mehrfamilienhäuser bieten eine Mischung unterschiedlicher Wohnarten. Die Erdgeschosswohnungen haben vielleicht Gartenanteile, die Wohnungen darüber Balkone. Denkbar sind auch Maisonettewohnungen und Wohnungen mit Dachterrassen. In solchen Vierteln sollte es immer auch einen Anteil geförderten Wohnungsbaues mit einem Anteil kleiner Wohnungen geben. Zudem ist ein Anteil von zehn bis 15 Prozent Nichtwohnnutzung vorzusehen.

Was meinen Sie mit Nichtwohnnutzung?

Das können Läden sein, Kindergärten, kulturelle Einrichtungen, Gemeinschaftsräume oder auch Freizeit- und Sportanlagen. Man wird zudem in Blicknähe Gebäude sehen, in denen gearbeitet und gewirtschaftet wird.

Also das, was urbane Quartiere eigentlich ausmacht.

Hier gehört noch ein ganz wichtiger Aspekt dazu. Die Frage: Wie bewege ich mich? Das Mindestmaß ist eine Bushaltestelle in der Nähe, also ein Anschluss an den Öffentlichen Personennahverkehr und bessere Möglichkeiten, das Fahrrad zu benutzen. Und wir werden neben dem privaten motorisierten Individualverkehr ein Wachsen von privater, aber gemeinschaftlicher Mobilität erleben: also Carsharing, den Verleih von Fahrrädern, Elektrorollern und Lastenrädern samt der notwendigen Serviceinfrastruktur, um diese Dinger am Laufen zu halten. Viel von diesem Verkehr wird ins nahe Umfeld gehen. Im Gegensatz zum heutigen privaten Personenwagen - den man eher "Stehzeug" nennen müsste - werden diese Fahrzeuge möglicherweise 40 Prozent der Zeit unterwegs sein.

Ebnet damit der Abschied vom Einfamilienhaus auch dem Abschied vom Auto den Weg?

Ich will das keinem vorschreiben, das Auto muss man nicht verteufeln. Letztlich wird sich zeigen, dass kein eigenes Auto, zumindest keinen Zweitwagen zu haben, für einen Teil der Bewohner die überlegenere Lösung ist. Das wird kommen.

Und wer finanziert diese neue Form der Mobilität?

Es genügt, wenn die öffentliche Hand Vorsorge trifft, um eine solche private Infrastruktur zu schaffen. Fahren diese Leute dann die noch teuren Elektroautos, was sich wegen der hohen Nutzung rentiert, müssen sich die Nachbarn nicht mehr so viel Sorgen um den Verkehrslärm machen.

Was Sie beschreiben, ist alles andere als das klassische Bauträgermodell.

Die Akteure spielen eine ganz, ganz wichtige Rolle. Wir werden uns also die Partner suchen müssen, die sich als Bestandshalter langfristig engagieren. Also nicht nur Bauträger, die ihre Pflicht erfüllt haben, wenn das Bauvorhaben fertig ist. Ich denke an Wohnungsbaugesellschaften, Genossenschaften und private Eigentümer, aber auch an größere Arbeitgeber, die ihren Mitarbeitern Wohnungen anbieten können, weil sie sonst keine Arbeitskräfte mehr finden.

Bringt das Ende der Trennung von Wohnen und Arbeit das Ende der Suburbanisierung und stärken neue urbane Quartiere die Eigenständigkeit der Vorstädte?

Ob das wirklich das Ende des Einfamilienhauses ist, weiß ich nicht. Die Wohnform wird nicht aussterben. Sie wird aber dadurch Konkurrenz bekommen, dass ein Teil sagt, ich kann es mir nicht leisten. Ich will in einer urbanen Umgebung leben, weil ich mir manches erleichtere. Zum Leichtermachen gehört, in der Nähe Arbeitsplätze zu haben.

Worauf die Kreisstadt setzt.

Fürstenfeldbruck hat durch eine entsprechende Gewerbeansiedlungspolitik zum Beispiel erstmals seit 2007 einen ausgeglichenen Pendlersaldo: Das heißt es fahren von hier genauso viele Menschen nach außerhalb zur Arbeit, wie umgekehrt Menschen hierher zur Arbeit kommen. Längerfristig wird sich dann der eine oder die andere überlegen, auch den Wohnort in die Nähe des Arbeitsplatzes zu verlegen. Denn, je mehr sich die Arbeitswelt diversifiziert, umso wichtiger wird es, die Arbeits- und Wohnwelt zu verknüpfen. Gerade für die Menschen, die keinen 40-Stunden-Job ausüben, ist es besonders wichtig nicht zweimal am Tag 45 Minuten zur Arbeit zu fahren.

Gibt es eine Form der Urbanisierung, die zum Landkreis und zu Fürstenfeldbruck passt?

Davon bin ich überzeugt. Man muss da nicht so sehr in Richtung München schauen, sondern sich an kleineren Städte wie Landsberg oder Freising orien- tieren, also an Städten in unserer Größenklasse in der in Deutschland die Mehrheit der Menschen lebt. Aber auch zum Beispiel Münster und Freiburg sind gute Beispiele, von denen wir lernen können.

Überwiegen also bei einem mit Augenmaß vorangetriebenem Wechsel zu städtischeren Wohnformen die positiven Aspekte?

Nicht nur weil ich Optimist bin, glaube ich das. Schließlich hat sich auch bei denen, die Wohnungen und Arbeitsplätze nachfragen, viel geändert. Vielleicht musste sich auch so viel ändern, weil man gemerkt hat, dass bestimmte Wohnformen nicht mehr bezahlbar sind.

© SZ vom 07.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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