Wo Blitzerfotos gesichtet werden:Der Großteil ist Ausschuss

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Er ist der Mann, der die Blitzerfotos sichtet - und das ist gar nicht so einfach: Harald Ziegler soll Raser und Drängler entlarven und verschafft dem Finanzminister so pro Jahr gut 14 Millionen Euro Umsatz.

Erich C. Setzwein

Harald Ziegler kennt sie alle: die TV-Moderatorin, den blonden Comedian und den Ex-Olympiasieger. Ziegler kennt all die Ausreden in den Anhörungsbögen und die Anwaltsschreiben von A-, B- und C-Promis. Er kennt sie so gut, weil er jeden von ihnen schon vor sich hatte. Als Foto aus der Radarfalle oder als Video aus der Abstandsmessung. Von allen erwischten Rasern und Dränglern verlangt der Staat Geld.

Alles analog: Der Leiter der Bildauswertung in Fürstenfeldbruck, Harald Ziegler, sichtet im Archiv einen Schwarz-Weiß-Film. (Foto: Johannes Simon)

Und so verschafft Ziegler, Leiter der zentralen Bildauswertestelle im nördlichen Oberbayern, zusammen mit 16 Mitarbeitern in der Dienststelle in Fürstenfeldbruck dem Finanzminister pro Jahr gut 14 Millionen Euro Umsatz. Das könnte noch mehr sein, doch weil der Freistaat kaum Geld für die effektivere Digitaltechnik ausgibt, hat es Zieglers Team mit Schwarz-Weiß-Filmen, VHS-Videos und jeder Menge Ausschuss zu tun.

Die Auto- und Lkw-Fahrer wird es freuen, wenn sie zwar geblitzt wurden, aber keinen Bescheid bekommen. Ziegler, seit 42 Jahren bei der Polizei, wurmt das: "Zu hohe Geschwindigkeit ist Unfallursache Nummer eins." Die Bildauswerter selbst können die Autofahrer nicht disziplinieren, das erledigt die zentrale Bußgeldstelle in Straubing.

Dorthin werden pro Jahr nach der Sichtung von gut 400.000 Bildern und Videos etwa 150.000 Meldungen über Verkehrsverstöße auf den Autobahnen rund um München verschickt. Manchmal ist es nicht nur ein Bußgeldbescheid. In einem Fall wurde eine Frau innerhalb von 14 Tagen zehn Mal im Aubinger Tunnel der A 99 West geblitzt. Wo Tempo 80 erlaubt ist, fuhr sie generell über 120. So kamen 30 Punkte in Flensburg zusammen und natürlich eine hohe Bußgeldsumme, gegen die die Fahrerin nun juristisch vorgeht.

Die Bildauswertung wurde im Zuge der Umstrukturierung der Polizeidirektionen in den Räumen der ehemaligen Direktion Fürstenfeldbruck zentralisiert. Seit 1. Februar 2009 sind die Mitarbeiter dort für die Bilder aus Überwachungskameras an den Autobahnen 8, 9, 96 und 99 zuständig. Jedes Mal, wenn eine Kamera auf einer der Schilderbrücken automatisch auslöst oder ein Polizeiauto den Blitz auslöst, wird ein mutmaßlicher Verkehrsverstoß dokumentiert. Aber so wie in der Industrie die Qualitätskontrolle nur einwandfreie Ware in den Versand schickt, wird in der Brucker Direktion ebenfalls aussortiert. Manche Bilder verleiten zum Schmunzeln: die Oma mit dem Rollator etwa, die ein Blitzopfer wurde, der Traktorfahrer mit über 80 Stundenkilometern oder der Regionalzug - solche Aufnahmen entstanden, weil die Kamera wegen eines zweiten, oft kaum sichtbaren Fahrzeugs auslöste. Freilich sind unter den Ausdrucken, die wie Trophäen an den Bürospinden pappen, auch Bilder von Porschefahrern, die ihren zotteligen Hund auf dem Beifahrersitz dabeihaben, oder die Blitzaufnahme eines Kleintransporters, auf der kein Fahrer zu erkennen ist. "Wahrscheinlich rechts gesteuert", erklärt Ziegler. Und da, wo man den Fahrer vermuten würde, sind die Daten der Kamera eingedruckt.

Dass einmal das ein oder andere Bild aus Gefälligkeit verschwinden könnte, das will Ziegler ausschließen. Alle Filme müssen drei Jahre archiviert werden, für jede Löschung eines Digitalfotos muss ein Grund angegeben werden, und selbst diese Daten werden in einem Ordner mit gelöschtem Material aufbewahrt.

Zuvor müssen Chemikalien angerührt und lange Rollen Film entwickelt werden. Anschließend werden die Negative gescannt, die Videobänder müssen digitalisiert werden. Nur so können die 1800 Aufnahmen täglich mit Computerprogrammen ausgewertet werden. Eine zeitraubende Prozedur. Und weil die mittlerweile aus China importierten SchwarzWeiß-Filme so körnig und viele Bilder nur Testaufnahmen sind, beträgt der Ausschuss etwa 60 Prozent. Hätte man die Digitaltechnik, ist Ziegler überzeugt, würde der Abfall nur ein Fünftel betragen. Doch der Staat ist knickrig, die 2009 für den Kamerakauf im Haushalt eingestellten fünf Millionen Euro seien wohl für die Landesbank verbraucht worden, vermutet der Polizeibeamte. Eines dieser Kamerasysteme koste 60.000 Euro. "Die hätten wir in zwei Tagen verdient", sagt Ziegler. Aber er weiß auch, dass er mit seiner Forderung nicht überall auf offene Ohren stößt: "Das Thema ist bei unseren Politikern äußerst unpopulär."

© SZ vom 19.08.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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