Wirtschaftsempfang:Steile Thesen aus der Glaskugel

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Nachhaltige Verschwendung und Energie zum Nulltarif: Der Wissenschaftler Timo Leukefeld erklärt auf dem Wirtschaftsempfang des Landkreises in unterhaltsamer und provokanter Weise, wie die Gesellschaft morgen leben könnte

Von Stefan Salger, Fürstenfeldbruck

Nicht alles muss man für bare Münze nehmen, nicht alles wird so kommen, wie Timo Leukefeld es vorhersagt. Und ob Miet- und Energieflatrates wirklich der Königsweg sind und man ein gutes Gewissen bei der Verschwendung haben darf - darüber lässt sich trefflich streiten. Zum Streiten, vor allem aber zum Diskutieren in einer Runde Gleichgesinnter freilich besteht nach dem Vortrag des Wissenschaftlers im Foyer des Landratsamts reichlich Gelegenheit. Denn das ist ja das erklärte Ziel dieser Veranstaltung: die Unternehmer und Kommunalpolitiker aus dem Landkreis am Büffet zusammenzubringen, um sich kennenzulernen und angeregt zu diskutieren. Gut 200 Unternehmen sowie Kommunal- und Landespolitiker waren am Montagabend der Einladung von Landrat Thomas Karmsin (CSU) gefolgt.

Leukefeld kokettiert gerne, redet vorzugsweise über seine Reisen rund um die Welt, gemeinsam mit seinem kleinen Sohn, und über das Geschäftsmodell der eigenen Firma. Er zeigt Ausschnitte aus Fernsehbeiträgen über sich sowie Fotos, die ihn gemeinsam mit Landes- sowie Bundesministern zeigen oder wahlweise mit berühmten Menschen vom Schlage des US-amerikanischen Ökonoms und Publizisten Jeremy Rifkin. Klappern gehört zum Handwerk. Der Vortrag ist dennoch kurzweilig und offenbart neben steilen Thesen durchaus spannende Zukunftsszenarien.

Timo Leukefeld bei seinem Vortrag im Landratsamt. Mit seinen langen Haaren und der weißen Fliege wirkt er wie ein Entertainer. (Foto: Matthias F. Döring)

Der 50 Jahre alte ausgebildete Handwerker, studierte Ingenieur, Unternehmer, Professor und Buchautor aus Sachsen nennt sich selbst "Energieexperte, Autarkiesucher und Denkwandler". Er sieht sich als Pionier der Energie- und Solarbranche und als Spezialist für das Thema "Wohnen der Zukunft". Mit langen Haaren und der weißen Fliege zum roten Hemd passt er nicht so recht ins Klischee des erfolgreichen Unternehmers. Aber er will ja auch in keine Schublade passen. Seine Botschaften bringt er im Stile eines Entertainers rüber, langweilig wird vor dem Umzug ans reichhaltige Büffet niemandem im Saal.

Leukefeld stellt ganz nebenbei die Projekte seiner Firma vor: den Bau von Mehrfamilienhäusern. In der monatlichen Miete ist die Flatrate für Wärme, Strom und Autofahren enthalten. Einer seiner Leitsprüche: "Lieber intelligent verschwenden als dumm sparen." Das geht, weil die Sonne auf lange Sicht die Energie für lau liefert - über Solarthermie-Kollektoren, die einen großen Wasserspeicher heizen, und Photovoltaik-Module für den Strom, der in einer großen Batterie gespeichert wird. Etwa 25 Flatrate-Projekte in ganz Deutschland plant Leukefeld derzeit - teils in Kooperation mit Wohnungsbaugesellschaften, Energieversorgern und Nachbarn, die überschüssigen Strom abnehmen. Leukefeld entwirft unter Berufung auf Rifkin das Szenario einer "Null-Grenzkosten-Gesellschaft". Solarzellen werden immer billiger. Bereits für 2030 prognostiziert er einen Preis von einem Cent pro Kilowattstunde. Werden die Hausdächer auf breiter Font mit Modulen bestückt, dürften die meisten großen Kraftwerke und Stromtrassen überflüssig werden.

Nicht nur das Wohnen ändert sich. Gleiches gilt für die Arbeit, bei der Roboter den Menschen weitgehend entlasten und teils ersetzen. In Japan gibt es schon Hotels, in denen die Frau am Empfang ein Roboter ist, der rund um die Uhr und mehrsprachig im Dienst ist. In einem Jahr hätten sich die Investitionskosten dafür bereits amortisiert, so Leukefeld - der aber auch die Grenzen aufzeigt: Die Fragen, was bei Stromausfall oder Hacking passiert, bleiben offen. Und auch sein Sohn habe bemängelt, dass die Roboter keine Gefühle zeigen können - noch nicht jedenfalls. Wenn Technik zur Verfügung steht, dann wird sie auch eingesetzt. Da ist Widerstand zwecklos.

Eine der durchaus schlüssigen Botschaften, die nur scheinbar im Widerspruch stehen zum Fortschrittsglauben: Manchmal sei es besser, auf wartungsanfällige Hightech ganz zu verzichten. Von Bäumen lernen: Ein Hochhaus mit fast meterdicken und damit gut isolierenden Wänden ist das Gegenmodell zum Bürokomplex mit filigraner Stahl-/Glasfassade, der einer aufwendigen Heizungstechnik bedarf. Lowtech schlägt bisweilen reparaturanfällige Hightech. Da spielt auch die Rentabilität rein. Leukefeld weiß aus eigener Erfahrung als Bauherr eines kleinen Hauses, dass "die letzten 30 Prozent Energieautarkie so teuer sind wie die ersten 70 Prozent". Städte wie Fürstenfeldbruck sind ebenfalls schon auf den Trichter gekommen, dass man sich bei eigenen Bauprojekten den selbstverordneten Passivhausstandard eher nicht leisten kann und es sich lohnen könnte, die Wärmedämmung nicht ganz perfekt, sondern "nur" sehr gut zu machen und mit der Solaranlage auf dem Dach doch noch "rein rechnerisch" Energieautarkie zu erreichen.

Hightech findet aber auch in Leukefelds Welt doch noch ihren Platz beim Thema Hausbau. Ganze Häuser spuckt heute in China schon der 3D-Drucker aus - mit dem sich mittlerweile sogar Metallkonstruktionen herstellen lassen. Wandel und Fortschritt sind hier ebenso wenig aufzuhalten wie beim selbst fahrenden Fahrrad oder bei Serviceleistungen wie dem Taxidienst Uber. Also, so ließe sich Leukefelds Credo interpretieren, sollte man frohgemut gestalten, statt den Kopf in den Sand zu stecken: "Motivation allein reicht nicht, es braucht Begeisterung!"

© SZ vom 09.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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