Wasserschöpfen:"Ich bin im Keller"

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Die Amper breitet sich auch in Schöngeising aus. (Foto: Günther Reger)

Wie der Redaktionsleiter der Fürstenfeldbrucker Neuesten Nachrichten das Erscheinen der Zeitung rettete

Von Martin Bernstein

Nein, eine Katastrophe, die hatte man sich als Lokalredakteur anders vorgestellt, nicht so . . . idyllisch? Was sie für die vom Pfingsthochwasser Betroffenen in Schöngeising und Kottgeisering, in Fürstenfeldbruck und Olching definitiv nicht war. Aber wenn man an diesem Pfingstsonntag so von oben auf das reizvolle Dorf am Ammerseeufer hinunter blickte, auf das Wasser, in dem sich erste Sonnenstrahlen brachen und blitzten und blinkten - das wäre eigentlich ein idyllisches Bild gewesen. Hätte das Dorf nicht Kottgeisering geheißen und hätte der sonst viele Kilometer weiter südlich gelegene See sich nicht unbotmäßigerweise (und zum Segen der flussabwärts gelegenen Amper-Anrainer) übers gesamte Ampermoos erstreckt.

Es waren besondere Tage für die Journalisten der Fürstenfeldbrucker Neuesten Nachrichten, wie damals die SZ-Lokalausgabe hieß. Nicht etwa, weil sie über den Katastrophenfall hätten twittern oder auf Facebook posten müssen . . . die sozialen Netzwerke waren seinerzeit, anno 1999, noch nicht erfunden. Und selbst der Online-Auftritt der SZ steckte noch in den Anfängen. Wäre also genügend Zeit gewesen, in Ruhe zu recherchieren, die nächste Ausgabe würde ja erst am Dienstag erscheinen.

Doch der Redaktion selbst stand das Wasser, nun ja, nicht bis zum Hals. Aber bis zu den Knien. Der Anruf des Redaktionsleiters hörte sich jedenfalls äußerst bedenklich an. Samstagabend, damals heiliger Tag der Redakteure, noch dazu an einem langen, dem Pfingstwochenende. Das allein verhieß wenig Gutes. So ein Anruf konnte nur eines bedeuten: ungeplante Arbeit. Noch bedrohlicher freilich klang, was als akustischer Hintergrund aus dem Telefonhörer tönte: gluckernde, gurgelnde, manchmal gar brausende Geräusche. Und dazu die Stimme des Chefs, angestrengt irgendwie, dumpf, wie aus einem Keller.

"Ich bin im Keller", teilte der Redaktionsleiter mit. Und er sei, so erklärte er weiter, damit beschäftigt, die Zeitung zu retten. Buchstäblich. Denn im Keller des Hauses am Ende der Bullachstraße stand das Herz der Lokalausgabe, der Zentralrechner, der Server. Viel hätte nicht gefehlt und dieses Herz hätte in dieser Nacht aufgehört zu schlagen. Das steigende Grundwasser war dem sensiblen Computer gefährlich nahe gerückt. Zum Glück hatte der Chef schon etliche Jahre Fürstenfeldbruck hinter sich. Er wusste um geografische Besonderheiten und um die Gefahren eines Amper-Hochwassers. Die Fürstenfeldbrucker und Grafrather wissen schon, warum sie seit Jahrhunderten höhere Mächte mit den jährlichen Luzienhäuschen-Schwimmen gnädig zu stimmen suchen . . . wohl kein Zufall, dass die Startstelle der kerzenbestückten Lichterschiffchen nur ein paar Meter die Bullachstraße abwärts ist.

Jedenfalls gelang es dem Chef und der in Bruck-Fragen mindestens ebenso bewanderten Sekretärin, den erscheinungswichtigen Rechner gerade noch auf einen Tisch zu wuchten und vor den Fluten in Sicherheit zu bringen. Solange jetzt nur steigendes Grundwasser das Problem war und die Amper nicht ungebremst durch die Bullachstraße fließen würde, sollte der improvisierte Schutz reichen.

Dass er reichte, war nicht zuletzt ein Verdienst der Brucker Feuerwehr, des Technischen Hilfswerks und der zum Sandsackschleppen abkommandierten Soldaten der Bundeswehr. Gefährlich nahe kam die Amper in den folgenden 48 Stunden dem Redaktionsdomizil. 60 Zentimeter über Straßenniveau floss die Amper an der Bullachstraße vorbei. Den einzigen Schutz bildeten Sanddämme und eine bis zu zwei Meter hohe Sandsackmauer.

Pro Sekunde flossen bis zu 160 Kubikmeter Wasser durch die Amper, das Vier- bis Fünffache der normalen Menge. Die Redakteure merkten schnell: Selbst in Gummistiefeln mittendrin zu sein ist ganz etwas anderes als die übliche Beobachterrolle. Die stündliche Pegelansage des Wasserwirtschaftsamts wurde zum Hauptgesprächsstoff.

© SZ vom 22.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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