Was soll aus dem Sonntag werden?:Nichtstun als Seelenbalsam

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Völkerkundler Peter Höfl erörtert in Eichenau auf Einladung der Grünen die Sonntagsfrage. (Foto: Günther Reger)

Bei einer Diskussionsveranstaltung der Eichenauer Grünen herrscht Einigkeit darüber, den Sonntag als Ruhetag zu belassen

Von Katharina Proksch, Eichenau

Seit Jahren diskutieren der Einzelhandel, Gewerkschaften und Kirchen über die Sieben-Tage-Woche. Das würde den Sonntag als Ruhetag ganz abschaffen. Ganz, weil bereits 25 Prozent aller Erwerbstätigen Sonntagsarbeit leisten, informierte Peter Höfl. Er referierte auf Einladung der Grünen Eichenau in den Bürgerstuben. Der Vortrag des Völkerkundlers europäischer Kulturen sollte zum Weiterdenken der Sonntagsfrage anregen, nämlich wie sich die Gesellschaft bereits entwickelte und damit die Konnotation des Sonntags aus dem Gleichgewicht gebracht hat und was dieser besondere Tag uns heute noch bringt. Und wie würde sich die Gesellschaft weiter verschieben, wenn der Sonntag gesetzlich als Ruhetag abgeschafft werden würde?

Es hätte anschließend zum angeregten Austausch kommen können, doch waren sich die sieben Anwesenden einig, dass sonntags die Geschäfte geschlossen bleiben sollten. Das Argument des Einzelhandels, ihre Mitarbeiter wollten den Sonntagszuschlag, seien gelogen, denn eigentlich ginge es den Händlern nur um den eigenen Gewinn. Die Interessen lägen dabei nicht bei den Arbeitnehmern. Das traditionelle Sonntagsbild als Ruhetag entwickelte sich in der Bürgerfamilie des 19. Jahrhunderts und wurde in der Nachkriegszeit verankert: Die Familie schmiss sich in ihr Sonntagsgewand, traf sich zum Sonntagsbraten und machte sich auf zum Sonntagsausflug. Der Sonntag galt in einer zunehmender geregelten und arbeitsgesicherten Gesellschaft "als soziale Errungenschaft", die 1919 in der Weimarer Verfassung festgeschrieben und von Gewerkschaften und Kirchen unterstützt wurde.

Bis heute kommerzialisierten sich die Sonntagsbeschäftigungen: Kinos, Museen, Fitnessangebote haben geöffnet. Folglich muss bereits ein Teil der Gesellschaft arbeiten. Die Lust zum Konsum hört auch am Wochenende nicht auf, der Internethandel macht es möglich und regelmäßige Sonntagsöffnungszeiten laden zum Event-Shopping ein. Das hat oftmals viel weniger etwas mit tatsächlichem Einkauf zu tun, sondern viel mehr mit "Bummeln und Träumen", so Höfl. Dieser Wandel vertrieb jedoch keineswegs den nicht kommerziellen Unternehmergeist, der sich in Politik, der Kirche und im Engagement zeigt. Hier allerdings stellt sich dir Frage, in wie weit man das auch schon in die Rubrik Arbeit fassen kann und es von der eigentlichen Ruhe-Idee des Sonntags abweicht.

Die Grenzen zwischen Ruhe und Freizeitwerden sonntags durchlässiger, verstärkt auch durch die Arbeitswelt. Flexible Arbeitszeiten und mobile -plätze, Digitalisierung versprechen dem Arbeitnehmer mehr Freiheit. Die Option der ständigen Erreichbarkeit wird weiter ausgekostet. Somit trägt sich die Arbeit häufig mit spät in den Abend hinein und auch in den Sonntag. Einige Arbeitnehmer wissen diese Flexibilität zu schätzen, bringe es doch das familiäre Privatleben mit dem Arbeitsleben einfacher in Einklang, so die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Rike Schiele. Gleichzeitig stellen sich aber die Fragen, welche Funktion der Sonntag noch in sich hat, wenn doch der Ruheaspekt ausradiert wird. Würde es so viel ändern, wenn die Geschäfte sonntags generell geöffnet hätten? Findet der Mensch nicht seinen Rückzug individuell an sein Leben angepasst?

Fünf Funktionen des Sonntags arbeitete der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler Jürgen P. Rinderspacher heraus, die Höfl vorstellte. So dient vielen der Sonntag als gesetzlicher Ruhetag noch als Argument, nicht arbeiten zu müssen, und es "unverschämt wäre, wenn der Chef sonntags geschäftlich anrufen würde". Die Digitalisierung bringt dies allerdings ins Wandeln, denn "der Chef kann zwar nicht meckern, wenn er auf eine Email keine Antwort bekommt", übt aber indirekt Druck auf den Arbeitnehmer aus. Der Sonntag erinnert uns daran, dass wir uns aussuchen dürfen, was wir machen. Das darf auch einfach nichts sein, ohne uns rechtfertigen zu müssen. Dieser Entlastungsfunktion stehe unser eigener Anspruch, "immer etwas Sinnvolles machen so wollen, im Weg", erklärt Hörl.

Zusätzlich wird erwartet, dass der Sonntag in sozialer Aktivität verbracht wird. Dabei ist anzumerken, dass diese "Animationsfunktion" bereits den Ruheaspekt vertrieben hat. Das mache sich auch die Werbung zu nutze, die zum Einkauf und Bummeln am Sonntag zwinge, hieß es aus der Runde. Egal, ob nun der Ruheaspekt gefährdet ist, der gesetzlich geregelte freie Tag erleichtert es der Gesellschaft, sich zu organisieren. Zusätzlich dazu gilt dies kulturell- und religionsübergreifend und vermittelt ein Gemeinschaftsgefühl. Obwohl sich der Sonntag vom klassischen Ruhetag längst verabschiedet hat, zeigten sich in der Runde die Bedenken, dass erweiterte Sonntagsöffnungszeiten weitere Grenzen sprengen würden: Das würde das Leben durcheinander bringen, man wäre viel undisziplinierter und zerstreuter. Keiner würde verhungern, wenn sonntags geschlossen bliebe.

© SZ vom 12.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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