Interview mit Vorstandsmitglied der Bezirkskliniken:"Viele Menschen sind sehr verängstigt"

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Margitta Borrmann-Hassenbach ist auch für das Isar-Amper-Klinikum in Fürstenfeldbruck zuständig. Sie erklärt, wie sich die Corona-Krise auf Patienten der psychiatrischen Krankenhäuser auswirkt und wie man ihnen helfen kann

Interview von Olaf SchAEFfer, Fürstenfeldbruck

Die Sorgen, die mit der Corona-Krise einhergehen, erfassen nicht nur die Menschen, die als psychisch gesund gelten. Seit Sars-CoV-2 grassiert, leiden vor allem diejenigen besonders stark, für die Ängste und Krisen längst zum Alltag gehören. Margitta Borrmann-Hassenbach ist Vorsitzende der Bundesarbeitsgemeinschaft der Träger psychiatrischer Krankenhäuser und sitzt im Vorstand der Kliniken des Bezirks Oberbayern, zu denen auch das Isar-Amper-Klinikum in Fürstenfeldruck gehört. Im Gespräch erklärt sie, vor welchen Herausforderungen Psychiater, Therapeuten und Patienten stehen und welche neuen Behandlungsmöglichkeiten es gibt.

SZ: Worin bestehen die Aufgaben der Bundesarbeitsgemeinschaft Psychiatrie?

Margitta Borrmann-Hassenbach: Die BAG-Psychiatrie vereint die Interessen und Aufgaben aller psychiatrischen Pflichtversorgungskrankenhäuser in Deutschland. Also all derjenigen, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, immer für die Bevölkerung da zu sein und jeden in jeder Notlage aufzunehmen - 365 Tage im Jahr, sieben Tage die Woche. Wir versuchen, die Deutsche Krankenhausgesellschaft, die im Grunde genommen für alle Krankenhäuser da ist, dahingehend zu unterstützen, dass sie um die Notwendigkeiten in den Psychiatrien weiß. Denn die machen nur zehn Prozent der Krankenhauslandschaft in Deutschland aus, und dadurch fallen wir häufig hinten runter, wenn die deutsche Krankenhausgesellschaft ansonsten fürs gesamte Land verhandelt.

Merkt man das besonders in solchen Krisensituationen?

Durchaus. Es ist so, dass im Covid-19 Krankenhausentlastungsgesetz, das am 27. März verabschiedet wurde, die Psychiatrie überhaupt nicht vorkommt. Es geht da praktisch nur um die Somatik, also die Behandlung von körperlichen Erkrankungen, und das ist natürlich zu kurz geschwungen.

Was kann man sich denn unter einer Akutpsychiatrie vorstellen? Wo liegt der Unterschied zur ambulanten Behandlung?

In der Akutpsychiatrie werden Patienten behandelt, die in akuten Notlagen sind. Das heißt, dass sie zum Beispiel Selbstmordgedanken beziehungsweise auch konkrete Planungen haben. Oder dass sie eine Psychose haben und sich verfolgt fühlen, dass sie Stimmen hören, dass sie von Vorstellungen gequält sind, die nicht real sind. Wenn jemand größte Ängste hat, sich nicht mehr aus dem Haus traut und so seine ganzen Sozialkontakte verliert - das sind häufige Notlagen, die in der Akutpsychiatrie behandelt werden. Dazu zählen auch Menschen mit Depressionen, die möglicherweise nicht mehr ihren Haushalt versorgen können, keine Entscheidungen mehr treffen können. Das sind alles Zielgruppen der Akutpsychiatrie.

Wie hat sich die Lage der Patienten in der Akutpsychiatrie durch die aktuelle Krise verändert?

Das ist unterschiedlich. Es gibt viele Menschen, die sehr verängstigt sind. Das ist ja auch klar, wenn man die Pressekonferenzen des Robert-Koch-Instituts hört, das die reale Gefahr dieser Pandemie und die Szenarien ja auch deutlich machen muss, weil das sonst niemand ernst nimmt. Es gibt viele Patienten, die sich extrem sorgen, es gibt manche, die sind viel bereiter, Hilfe anzunehmen. Und andere ziehen sich möglicherweise sogar noch mehr zurück. Und, na klar: vor der Ansteckungsgefahr haben viele Leute Angst. Natürlich auch Patienten, die jetzt zum Beispiel in der Ambulanz Termine absagen. Oder Eltern mit psychisch erkrankten Kindern in der Kinder- und Jugendpsychiatrie, die nicht mehr mit ihren Kindern zu uns kommen.

Gibt es Patientengruppen, die besonders stark von der Angst erfasst werden?

Naja, sagen wir mal so: Die Patienten, die ohnehin etwas ängstlicher sind, die sozusagen hinter jeder Ecke eine Gefahr wittern, die sind natürlich stärker betroffen und rufen zum Beispiel auch häufiger beim telefonischen Krisendienst des Bezirks Oberbayern an. Weil sie sich extreme Sorgen machen, wo das denn hingeht und ob diese Situation je wieder aufhört. Auch die Patienten mit chronischeren psychischen Erkrankungen sind stark betroffen. Diese sind ja häufig auch nicht mehr vollständig im Erwerbsleben oder nicht im ersten Erwerbsmarkt tätig und sorgen sich natürlich auch um ihre wirtschaftliche Zukunft.

Wie ist das, wenn sich in der Akutpsychiatrie beispielsweise ein Patient befindet, der rein hypothetisch an Covid-19 erkrankt ist?

Das ist nicht hypothetisch. Das haben wir schon. Das ist zum einen so, dass das vom Personal kommt. Wir hatten jetzt die vielen Menschen, die über Fasching zum Skifahren in Südtirol waren. Viele sind völlig symptomlos zurückgekommen, waren aber schon ansteckend. Wenn dann ein Patient erkrankt, muss man alle Kontaktpersonen, die er hatte, ebenfalls isolieren oder in Quarantänestationen weiterbehandeln. Die Patienten werden dann auf Stationen gebracht, die selbstverständlich auch besondere Hygienestandards erfüllen. Da ist es dann so, dass das Pflegepersonal und die Patienten besonders geschützt werden, damit sie sich nicht infizieren.

Ist das dann doppelte Isolation?

Nein, keineswegs. Die meisten Stationen in der Psychiatrie sind offene Stationen. Geschlossene Stationen gibt es eigentlich nur für die Patienten, die geschützt untergebracht werden müssen, weil sie selbstgefährdend sind. Weil sie unter zu starken Impulsen leiden, sich selbst etwas anzutun oder bei denjenigen, die nicht immer selbst zuverlässig Spannungszustände und aggressive Verhaltensweisen verbal oder körperlich regulieren können. Das sind Fälle, die dann mal geschlossen untergebracht werden müssen, aber das ist nicht die Regel.

Psychiaterin Margitta Borrmann-Hassenbach. (Foto: Privat)

Sind diese Personen auch abseits der normalen Corona-Erkrankten untergebracht?

Genau. In der Psychiatrie sind primär keine Covid-Patienten untergebracht. Wenn man ein Krankenhaus mit einer Psychiatrie und anderen Fachabteilungen hat, dann schon. Aber ansonsten ist es in den psychiatrischen Fachkran- kenhäusern so, dass dort extra Stationen gebildet werden, indem Patienten von anderen Stationen umverlegt werden. Damit die Patienten dann auch entsprechend den Hygienerichtlinien versorgt werden können und zwar von anderen Patienten getrennt, also von denen, die noch nicht Covid-krank sind.

Was würden Sie Patienten raten, die sich gerade so fühlen, als seien sie auf dem Weg in eine psychische Krise?

Auf jeden Fall sollten sie weiter versuchen, sich Hilfe zu suchen. Denn es ist nicht so, dass die Akutpsychiatrie jetzt alle Behandlungskapazitäten räumt. Wir machen die nicht sämtlich frei für die Covid-Patienten, sondern wir sind natürlich weiterhin da - sowohl ambulant als auch teilstationär und stationär, um die Notlagen zu klären und Behandlung anzubieten. Das ist nach wie vor so. Auch im niedergelassenen Bereich sind die Psychotherapeuten gehalten, ihre Praxen aufrechtzuerhalten und ihre Zugänglichkeit zu bewahren. Das ist sicherlich etwas, das man den Menschen sagen muss: Dieses Notszenario bedeutet nicht, dass Patienten, die keine Corona-Erkrankung haben, nicht mehr versorgt werden. Dafür versuchen wir auch neue Wege zu gehen, indem wir Patienten, die Angst haben zu kommen, Videosprechstunden anbieten oder versuchen, vermehrt in den Telefonkontakt mit ihnen zu gehen.

Ist das schon umfassend möglich?

Wir haben dafür schon seit fast zwei Jahre mit den Krankenkassen verhandelt. Anfang des Jahres haben wir den Durchbruch erzielt, wo dann zuerst einmal aus den psychiatrischen Institutsambulanzen heraus die Ärzte und die Psychotherapeuten Videokontakte knüpfen durften. Das haben wir jetzt in einer Art Notfallvereinbarung weiter gelockert. Damit wir das praktisch sofort umsetzen können - und damit auch andere Berufsgruppen wie zum Beispiel Sozialpädagogen oder andere Therapeuten die Videosprechstunde nutzen können. Das ist jetzt vorgezogen und dafür ist es erforderlich, dass man ein zertifiziertes Kontaktmodul hat. Die Anbieter dieser Module haben jetzt natürlich auch gewittert, dass sie sehr nachgefragt sind und haben gerade ein bisschen Probleme mit ihren Leitungskapazitäten.

© SZ vom 18.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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