Veranstaltung:Appell zur Zivilcourage

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Lesung thematisiert das Wegschauen im Dritten Reich

Von Larissa Kahr, Fürstenfeldbruck

Der Beamer in der Fürstenfeldbrucker Aumühle wirft Panels, Einzelbilder aus einer Bildersequenz, an die Wand. Es ist ein gezeichnetes, von Schatten verhangenes Schlafzimmer zu sehen. Das nächste Panel, das aufflimmert, zeigt Irmina. Die junge Frau steht vor dem Fenster und beobachtet etwas. Die folgende Bildersequenz ist aus Irminas Perspektive gezeichnet: Ein Mitglied der Sturmabteilung demoliert einen jüdischen Laden und entführt den Besitzer. Seine Frau rennt auf die Straße und ruft "Warum hilft denn keiner." Das letzte Bild zeigt Irmina: Sie schließt den Vorhang vor ihrem Fenster.

Es ist die Nacht des 9. November 1938, die Reichspogromnacht und Irmina schaut, wie so oft, weg. Aber warum tut sie das? Wie hätte man sich selbst in dieser Situation verhalten? Und wie kann man es generell verhindern, dass jemand diese Scheuklappen aufsetzt und bewusst wegsieht? Diese Fragen stellt und verarbeitet Barabara Yelin in ihrer Graphic Novel "Irmina". Das Buch ist ein Comic-Roman, der durch den Dialog in Form von Sprechblasen und den Mitteln der Zeichnung, wie Schatten, Licht und Raum, eine Geschichte erzählt. Dabei gibt es keinen Kommentar oder beschreibende Stimme, die das Geschehen erklärt.

Szenen aus diesem Werk stellte Yelin am vergangenen Montagabend den 20 Versammelten in der Aumühle vor. Die Lesung wurde organisiert von der Interessengemeinschaft Kultur und der Aumühle und zählte zu dem Programm der internationalen Wochen gegen Rassismus 2019 in Fürstenfeldbruck.

In dem Buch, das 2014 erschien und schon in acht Sprachen übersetzt wurde, verarbeitet die Künstlerin die Lebensgeschichte ihrer vor 25 Jahren verstorbenen Großmutter. Diese geht Anfang 1930 nach England, um ihr Freiheitsgefühl auszuleben. Dann kehrte sie aber nach Deutschland zurück, wo die Nationalsozialisten gerade dabei sind, die Macht zu ergreifen. Irina verändert sich, passt sich an und wird zur Mitläuferin. Sie schaut weg, wenn in jüdische Häuser eingebrochen wird oder Wertgegenstände der Deportierten versteigert werden.

Die Bilder, die Yelin erschaffen hat, zeigen häufig das selbe Szenario aus verschiedenen Perspektiven. So sieht der Zuschauer Irmina in einer Totalen von Hinten, dann folgt eine Nahaufnahme ihrer Augen und im nächsten Bild ist ihr komplettes Gesicht zu sehen. Auf diese Weise nutzt die Autorin den gesamten künstlerischen Raum, um die Situation objektiv darzustellen, ohne das Gezeigte zu bewerten. Denn das sei ja das besondere Kriterium der Graphic Novel: Es gäbe keine erklärenden Kommentare, der Zuschauer müsse selbst entscheiden, wie er das Gesehene bewertet, sagt Yelin. Anders in ihrem Vortrag. Hier bewertet und erklärt sie die einzelnen Panels. So beurteilt sie den rassistischen Kommentar einer Figur mit "Die Aussage ist völlig unpassend". Das ist natürlich einerseits den Rahmenbedingungen der Lesung geschuldet, da Yelin die Zusammenhänge zwischen den ausgewählten Szenen erklären muss. Dennoch gibt es dadurch nur ein mögliches Verstehen für die Zuhörerschaft. Der gewünschte Effekt des eigenen Erkenntnisgewinns bleibt dabei aber auf der Strecke.

© SZ vom 13.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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