Türkenfelder Fischerstechen:Eine Sache des Gleichgewichts

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Auf dem Dorfweiher wird seit dem Wochenende für das Spektakel am kommenden Sonntag geübt. Es kommt auf das Team, gute Ruderer und jede Menge Körperbeherrschung an.

Von Erich C. Setzwein, Türkenfeld

Michael Dietrich stürzt als erster. Der Stoß hat ihn aus dem Gleichgewicht gebracht, er versucht noch mit der Lanze auszubalancieren, doch es gelingt ihm nicht mehr, sich auf den Beinen zu halten. Kurt Müller hingegen, der Mann in der kurzen Badehose und dem ausgeblichenen T-Shirt, bleibt wie fest verwurzelt auf seinem Podest. Auch er wird an diesem Abend noch nass werden, was auch nicht schlimm ist, weil es sich ja erst um ein Training handelt und das trübe Wasser des Dorfweihers eine angenehme Temperatur hat. Am Ufer verfolgen einige Dutzend Zuschauer das Training für das Fischerstechen, sie haben es sich bei Bier und Nackensteaks gemütlich gemacht.

Freitagabend, Samstag, Sonntag, Montagabend - bis zum Ende der Woche sind die Übungen für das siebte Fischerstechen auf dem Türkenfelder Dorfweiher angesetzt. Am kommenden Sonntag wird sich zeigen, wer sich auf den wackeligen Booten halten kann, wer bester Fischerstecher wird und dies für die nächsten vier Jahre auch bleibt. Zum siebten Mal wird die im Zeitraum der Olympiade ausgetragene Meisterschaft in Türkenfeld von der Freiwilligen Feuerwehr veranstaltet. Eine Bühne für die Blaskapelle wurde an der Südostecke gezimmert, ein Podest für den DJ auf der Ostseite. Genau zwischen den beiden Plattformen steht die alte Dorfschmiede und in deren Schatten hat die Feuerwehr ihre Würstelbude hingestellt. Wäre man sich nicht sicher, was der aus ihr herausquellende Rauch bedeutet, so hätte man am Freitagabend die Feuerwehr rufen müssen. Doch die freiwilligen Helfer waren schon da, sie selbst verursachten auf dem neuen Gasgrill die graue Wolke, die den Dorfweiher förmlich einnebelt. Als sich der Rauch verzogen hat, liegen ordentlich gegrillte Scheiben vom Schweinenacken da und die Bratwurst. Aber nicht irgendeine: "Das ist die Türkenfelder Bratwurst", sagt Wolfgang Neumeier, Feuerwehrvereinsvorsitzender und Organisator des Fischerstechens, "die wird nach einem Rezept eines Türkenfelder Metzgers hergestellt." Scheint auch zu schmecken, wie man an den fröhlichen Zuschauern sieht, die die Bratwurst bestellen, nachdem sie in der Schlange vor der Hütte längere Zeit gewartet haben. Wurst, Fleisch und Bier sind aber nicht die Attraktionen, werden derer die Leute an den Weiher gekommen sind. Sie erwarten von nun an jeden Abend vollen Einsatz beim Training. Den zeigen die ersten beiden Mannschaften an diesem Abend zwar, aber bis der erste ins Wasser fällt, muss einiges dafür getan werden.

Das Rudern zum Beispiel. Vier Mann der sechsköpfigen Mannschaft rudern. Im Heck sitzt der Steuermann mit einem Paddel, mit dem er die ungleichen Ruderbewegungen seiner Mannschaft ausgleichen kann, wenn sie auf seine Rufe "pull, pull!" hin an den Riemen ziehen. Es gilt, das flache Boot mit dem Podest am Heck, auf dem der Stecher steht, möglichst genau auf die andere Seite des Weihers zu steuern, dabei auf der nur 60 Meter langen Strecke so viel Fahrt aufzunehmen, dass sich in dem Moment, in dem sich die Boote der Kontrahenten begegnen, das Ruder eingestellt und die Riemen hochgenommen werden. Ab dann gleicht das Fischerstechen dem mittleralterlichen Turnier, in dem sich zwei Ritter begegnen, die Lanzen senken und versuchen, sich vom Pferd, in Türkenfelder Spiel, vom Boot zu stoßen. Während viele Ritter tödlich getroffen in den Sand sanken, werden die Kämpfer beim Türkenfelder Fischerstechen höchstens nass.

Nass mussten auch die beiden Boote gemacht werden, die die Feuerwehr von den Fischerstechern aus dem oberbayerischen Stepperg ausgeliehen hat. Eine Woche lagen sie mit Wasser halb gefüllt im Dorfweiher, damit das Holz aufquellen und die Fugen der alten Boote verschließen konnte. Wenn sich am kommenden Sonntag nach einer Woche Training 16 Mannschaften bereit machen, dann wird beim Wettbewerb auch ein Froschmann der Feuerwehr München im knapp zwei Meter tiefen Dorfweiher sein, ebenso wie die Sanitäter, die am Ufer in Bereitschaft sind. Michael Dietrich von der Feuerwehr Türkenfeld und Kurt Müller vom Stammtisch "Suizid" werden womöglich wieder die Lanzen in die Hüfte stemmen und versuchen, den jeweiligen Gegenüber mit einem geschickten Stoß aus dem Gleichgewicht zu bringen.

© SZ vom 24.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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