Türkenfeld:Unter der Last des Gewichts

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Ein betroffenes Ehepaar hat in Türkenfeld eine Adipositas-Selbsthilfegruppe gegründet

Von Christian Hufnagel, Türkenfeld

Christian Echter wählt einen drastischen Vergleich, um unmissverständlich die Brisanz zu verdeutlichen: "Fettzellen verschwinden nicht. Sie werden nur kleiner und können jederzeit wieder wachsen. So wie Krebszellen." Aber bei niemandem würde angezweifelt, dass er ernsthaft krank ist, wenn ihn der Krebs heimgesucht hat. Wer sich aber permanent mit zu viel Gewicht quälen muss, empfange meist weniger Mitgefühl, als mehr mit Vorurteilen und Geringschätzung konfrontiert zu werden. So wie der 56-jährige Geltendorfer, der die Problematik der gesellschaftlichen Missachtung kennt und von einem "lebenslangen Kampf" spricht. Und deshalb der Vergleich mit dem Krebs. Die körperlichen wie auch seelischen Beschwerden, unter denen er - wie auch seine Ehefrau - seit der Kindheit litten, seien eine Krankheit. Und es sei eben nicht damit abgetan, dass hier ein Mensch halt unverbesserlich "faul und gefräßig ist", wie die Allgemeinheit gerne über Dicke urteile, oft sogar Ärzte. Nein, starkes Übergewicht habe viele Faktoren. Und dafür will das Ehepaar das Bewusstsein wecken und schärfen, so mit einer Informationsveranstaltung am kommenden Samstag im Türkenfelder Pfarrheim.

Den kaufmännischen Angestellten begleitet seit jeher das Problem mit seinem Übergewicht: "Essen war und ist ein tägliches Thema in der Beschränkung", sagt er. Schon als Grundschüler hatte er Diäten durchzustehen: "Da habe ich 20 Kilo abgenommen, die aber schnell wieder oben waren." Als Jugendlicher wog er bereits 115, später im Jahre 2012 dann sogar 198 Kilogramm. Erst als er und seine Ehefrau vor zwei Jahren zu einer Selbsthilfegruppe an der Chirurgischen Klinik in München-Bogenhausen fanden und sich beide im vergangenen Mai den Magen operativ verkleinern ließen, stellten sich spürbar und nachhaltig Verbesserungen ein.

"Extrem übergewichtige Menschen dürfen nicht weiter ausgegrenzt werden", fordern Christian Echter und seine Frau Barbara aus Geltendorf. (Foto: privat)

Der 56-Jährige wiegt nun noch 96 Kilo, ist zwar bei einer Größe von 1,76 Meter noch lange nicht bei einem Idealgewicht, aber immerhin sind Folgebeschwerden wie Bluthochdruck verschwunden. Und es hebt sein Selbstwertgefühl und tut dem gesundheitlichen Empfinden gut, eine "zweistellige Zahl" erreicht zu haben. Seine Ehefrau Barbara Echter-König hatten für sich einen ähnlichen Erfolg erzielen können und 55 Kilogramm an Gewicht verloren, die vor allem durch die Nebenwirkungen von Medikamenten zur Linderung einer chronischen Krankheit bedingt waren.

Seine positiven Erfahrungen will das Ehepaar nun weitergeben. Im Oktober gründete es die Adipositas-Selbsthilfegruppe Amper-Lech. Die soll Anlaufstelle für Betroffene zwischen Landsberg und Fürstenfeldbruck sein. Rund 20 Menschen treffen sich bisher einmal im Monat - immer am letzten Dienstag - im Türkenfelder Pfarrheim. Und einmal die Woche geht man gemeinsam schwimmen, "frei und ungezwungen" von schiefen Blicken anderer: "Das ist am See ein Spießrutenlauf", spricht Echter eine von vielen Situationen an, die Übergewichtige im Alltag belasten können. "Wir tragen unsere Krankheit ja zur Schau und können sie nicht verstecken." Und schon sei man als Fetter stigmatisiert.

Ein verstärkte Aufklärung wollen die Initiatoren nun am Samstag, 18. Januar, mit einem "Tag der offenen Tür" im katholischen Pfarrheim in Türkenfeld anbieten. Für Fragen aller Art werden verschiedene Fachärzte zur Verfügung stehen. So kann ein Chirurg die Chancen und Risiken einer Magenverkleinerung aufzeigen oder ein Narkosearzt erläutern, was bei Übergewichtigen zu beachten ist. Ansonsten dient der Nachmittag von 14 bis 18 Uhr Betroffenen zuallererst dazu, sich kennenzulernen und sich über ihre Erfahrungen auszutauschen. Dazu eingeladen sind natürlich auch die Angehörigen. Christian und Barbara Echter kleiden das Ziel ihre Initiative in einen Appell: "Tragen auch Sie mit dazu bei, dass extrem übergewichtige Menschen nicht weiter ausgegrenzt und diskriminiert werden." Weitere Informationen gibt es im Internet unter www.SHG-Amper-Lech.de.

© SZ vom 17.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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