Tierelend:Vom Retter zum Bittsteller

Lesezeit: 3 min

Die Amtsveterinäre müssen regelmäßig Tiere aus nicht artgerechter Haltung befreien. Die schwierige Suche nach Unterbringung zeigt die Grenzen der ehrenamtlich geführten Aufnahmestationen auf

Von Gerhard Eisenkolb, Fürstenfeldbruck

Bei der Rettung von Tieren müssen Amtsveterinäre hart gesotten sein. Erleben sie doch nicht nur glückliche Kühe auf Weiden oder artgerecht gehaltene Katzen und Hunde, sondern sie sehen sich immer wieder mit unsäglichem Tierelend konfrontiert. Wie im vergangenen Sommer auf einem Bauernhof im Landkreisnorden. Dort standen oder lagen 25 abgemagerte Rinder im Stall bis zu kniehoch im eigenen Kot und in Gülle, als das Veterinäramt durchgriff und dem Bauern die Rinder wegnahm. Die Fotos der bis zu den Ohren verkoteten Vierbeiner und ihrer zum Teil großflächigen Entzündungen auf der Haut sind zum Erbarmen. Öffentlich wurde der Vorfall erst kürzlich in einem Ausschuss des Kreistags. Dort ging es um zusätzliche Finanzmittel für die Unterbringung und Versorgung dieser Rinder auf einem Hof im Landkreis Landsberg, wo für solche Fälle einen Stall vorgehalten wird. Nur weil es diese Möglichkeit gibt, konnte innerhalb von zwei Tagen eine Lösung gefunden werden.

Zu Auswüchsen wie bei dem Landwirt kommt es, wenn Tierhalter überfordert sind und ihrer Verantwortung nicht mehr gerecht werden können. Schreitet das Veterinäramt ein, sind die nicht artgerecht gehaltenen Haustiere, was ja die Begründung für die amtlich angeordnete Wegnahme ist, oft ausgehungert und krank. Sie brauchen Pflege und medizinische Versorgung.

Die Ursache für solches Tierleid ist laut Hans-Werner Merk, dem Leiter des Veterinäramts in Fürstenfeldbruck, neben Überforderung und persönlicher Probleme häufig auch eine Erkrankung oder das Alter der Halter. Dahinter steckten meist "menschliche Tragödien", wie er sagt. Zudem unterschätzt so mancher die Aufgabe durch den Erwerb von regelmäßig zu versorgenden Tieren.

Die Amtsveterinäre sahen sich im vergangenen Jahr gezwungen, öfter hart durchzugreifen. So nahmen sie einem Besitzer zwei Hunde weg. Einem anderen dessen in einem Keller in einem viel zu kleinen Käfig eingesperrte Papageien. Die Mitarbeiter des Landratsamts haben dann nicht nur Ärger mit den Tierhaltern. Da sie kurzfristig eine neue Unterbringung finden müssen, werden aus Rettern Bittsteller, deren Anfragen bei Tierheimen oder spezialisierten Auffangstationen für Schlangen, Vögel oder Reptilien im weiteren Umkreis oft abgewiesen werden. Der Mangel an geeigneten Unterbringungsmöglichkeit zeigt ein strukturelles Defizit auf, das es anderswo nicht gibt. So werden die Kleintierauffangstation im Maisacher Ortsteil Überacker und das Tierheim in Fürstenfeldbruck ehrenamtlich von Vereinen betrieben. Weshalb die engagierten Helfer regelmäßig an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit und Aufnahmekapazitäten stoßen. Zudem steht die Station in Maisach vor dem Aus. Der Verein arbeitet zwar sehr erfolgreich, ist aber chronisch unterfinanziert. Wird die Kleintierstation geschlossen, müsste der Landkreis künftig noch mehr Mittel zur Verfügung stellen, befürchtet der Maisacher Kreisrat Hans Seidl.

In einem Landkreis mit mehr als 200 000 Einwohnern reichen ein solches ehrenamtliches Engagement und das Wohlwollen von Vereinen schon lange nicht mehr zur Erfüllung der öffentlichen Aufgabe, Fundtiere oder Eigentümern entzogene kleinere Haustiere kurzfristig unterzubringen. Obwohl die Kleintierstation den Kommunen eine Pflichtaufgabe abnimmt, lehnten es deren Bürgermeister bisher mehrheitlich ab, sich an den Betriebskosten mit einer Jahrespauschale von 50 Cent oder einem Euro pro Einwohner zu beteiligen. Anderswo funktioniere dieses Modell, beteuert Merk, der nach wie vor für eine solche Lösung wirbt.

Ein Landkreis mit großen Siedlungsschwerpunkten wie der Brucker "braucht ein funktionierendes Tierheim", sagt der Chef des Veterinäramts. Die Nachbarn in Augsburg, Dachau oder München seien über die regelmäßigen Anfragen aus Fürstenfeldbruck nicht begeistert. Je höher die Zahl der unterzubringenden Katzen, Hunde, Vögel oder Papageien ist, umso schwieriger werde es, einen Platz zu finden. Zumindest für die Landwirten weggenommen Nutztiere zeichnet sich eine Lösung ab. Laut Merk wollen sich die oberbayerischen Landkreise zusammenschließen und das Problem gemeinsam lösen.

Spektakuläre Fälle wie der des Rinderhalters treten nur alle paar Jahre auf. So hatte 2008 ein Landwirt zwei Amtstierärzte mit einer Eisenstange angegriffen und einen verletzt, als diese seinen Hof kontrollierten. Dass später seine 40 unterernährten und stark vernachlässigten Kälber in Gewahrsam genommen wurden, konnte er nicht verhindern. Ein anderes Mal hatten es die Veterinäre in einem Haus mit 80 nicht artgerecht gehaltene Giftschlangen zu tun. Als 2015 die Gemeinde Grafrath ihren damals letzten Hausarzt verlor, spielten auch Missstände bei der Haltung von etwa 100 Vögeln, Kaninchen, Hamstern und Fischen in dessen Praxis eine Rolle.

Bundesweit in die Schlagzeilen brachte 1993 die Leiterin des Veterinäramts die Stadt Fürstenfeldbruck. Unter dem Schutz von 41 schwer bewaffneten Polizisten ließ sie einem auf dem Volksfestplatz gastierenden Wanderzirkus fünf Pumas und zwei kranke Tiger wegnehmen. Die Veterinäramtschefin ließ sich vom Zirkusdirektor nicht mit der Drohung einschüchtern, er werde seine 32 Raubkatzen und Löwen freilassen, sollte diese nicht von ihrem Vorhaben ablassen.

© SZ vom 29.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: