Theater:So hart wie die Wirklichkeit

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Schonungslos führt das Stück "Die letzte Karawanserei" im Brucker Stadtsaal die brutalen Schicksale von Flüchtlingen vor Augen. (Foto: Johannes Simon)

"Die letzte Karawanserei" bringt Flüchtlingsschicksale auf die Bühne

Von Valentina Finger, Fürstenfeldbruck

Junge trifft Mädchen. Er flirtet, sie lacht. Aus einem Kuss wird mehr. Schließlich landet er unter der Peitsche, sie endet am Galgen. Was wie die Horror-Version eines Liebesmärchens klingt, ist die erschütternde Realität, die Ariane Mnouchkine für die Theaterbühne adaptiert hat. Die französische Regisseurin und Autorin führte Anfang der Zweitausenderjahre mehr als 400 Interviews mit Flüchtlingen, vor allem aus dem Nahen Osten und dem Dunstkreis Russlands. Aus ihren Schicksalen wurde das Drama "Die letzte Karawanserei". Das Münchner Metropol-Theater hat das Stück unter der Regie von Jochen Schölch im Fürstenfeldbrucker Stadtsaal aufgeführt.

Der Junge und das Mädchen, Fahwad und Azadeh, gespielt von James Newton und Vanessa Eckart, leben in Kabul unter dem Regime der Taliban. Verliebt und dabei noch nicht verheiratet zu sein, ist ihr einziges Verbrechen. Ein junger Mann muss leiden, weil er westlich orientiert ist, sich rasiert, Pop-Musik hört und eine Frau als gleichberechtigte Geliebte betrachtet. Eine junge Frau muss sterben, weil sie nur eine Frau ist. In einer Szene wird mit bitterer Härte eine lange Liste der Dinge vorgetragen, die Frauen unter den Taliban verboten sind. Hier kulminieren Wut und Abscheu, die man empfinden muss, wenn man die Vorgänge auf der Bühne verfolgt.

Es ist gut, dass das Stück vor allem wütend macht. Von seichter Sentimentalität gibt es in der Flüchtlingsthematik genug. Weder in Mnouchkines Text, noch in Schölchs Inszenierung mahnt der erhobene Zeigefinger durch das Einreden von Schuldgefühlen zu mehr Toleranz. Der fast neutrale Realismus, mit dem erzählt wird, was Menschen anderen Menschen antun, reicht aus, um jedem klarzumachen, dass es so nicht weitergehen kann. Die Flüchtenden, auf deren Lebensgeschichten das Drama basiert, sind nicht diejenigen, die in Massen nach Europa kommen. Doch die Schicksale wiederholen sich..

Verstörend sind vor allem die Leidenswege junger Frauen. Nur einer davon ist der der minderjährigen Olja, deren eigene Mutter sie in die Prostitution treibt, weil Flüchten nun einmal teuer ist. Verzweifelten Seelen eine goldene Zukunft versprechen und ihnen die vermeintliche Zuflucht zur Hölle machen - das gehört zur Job-Beschreibung von Schleusern wie Yosco, gespielt von Patrick Nellessen. In dessen Charakter stößt man auf das Unfassbare: Der so herzlos auftretende Menschenhändler hat selbst eine kleine Tochter, der er am Telefon Schlaflieder vorsingt. Für sie fühlt man Mitleid, als ihr Papa von einem Rivalen ermordet wird. Für Yosco bleibt nur Entsetzen und Unverständnis: Wie kann jemand, der die Bedeutung von Familie kennt, die Töchter anderer so quälen?

Yosco ist das Individuum hinter dem Bösewicht, mit einem Leben jenseits des Böse-Seins. Solche wenig gehörten Geschichten machen die Inszenierung besonders. Ein Bruder soll seine Schwester auf der Flucht aus dem Iran begleiten, weil sie sich das Regime zum Feind gemacht hat. Doch er will nicht weg von der Uni, von seinen Freunden, von seinem Volleyballteam. Das, wovor er und andere fliehen, ist ihre Heimat. Auch daran denkt man selten. Der Vater der Geschwister, herzzerreißend gespielt von Butz Buse, ist ein Musterbeispiel für einen Elternteil, der alles dafür tut, um seine Kinder zu beschützen. Ihm dankt das Schicksal seinen väterlichen Einsatz mit einem Schlaganfall.

Manchmal, wie im Fall des iranischen Vaters, kommt die Gewalt heimtückisch und leise daher. An anderer Stelle, wie bei den australischen Soldaten, die einen irakischen Asylsuchenden demütigen, ist sie laut und direkt. Präsent ist sie in jeder der Szenen der buchstäblich dunklen Darbietung. Von allem ist da auf der Bühne: wenig Licht, wenige Requisiten, wenige, nämlich zehn, Darsteller, die 39 Rollen spielen. Durch die eingespielten Video-Aufnahmen, die mit dem Bühnengeschehen verschmelzen, ist Schölchs Inszenierung zugleich reduziert und multidimensional. Dieses Kontrastspiel aus Fokussierung und Orientierungslosigkeit trägt maßgeblich zur Sog-Wirkung der Aufführung bei.

Das klingt alles schrecklich bedrückend. Das ist es auch. Dennoch schicken die Macher die Zuschauer nicht vollkommen mutlos nach Hause. Vier geflüchtete Frauen, darunter die ohne ihre Mutter geflohene Olja, treffen schließlich in einer Londoner Schneiderei aufeinander. Sie stammen aus Russland und Tschetschenien, verfeindeten Gebieten. Doch kleine Gesten wie gegenseitige Hilfe beim Vernähen von Stoff-Stücken lassen auf Versöhnung hoffen. Weiterhin ist es nicht der mahnende Zeigefinger, der zu bedingungsloser Nächstenliebe und zum naiven Ignorieren aller Unterschiede auffordert. Doch das Stück endet mit dem hoffnungsvollen Wink, dass Schwarz-Weiß-Denken gar nichts bringt, wenn man doch gemeinsam viel mehr erreichen kann.

© SZ vom 19.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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