Theater in Fürstenfeldbruck:Wartestunden im Verlies

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Redebedarf: Gus (links; Judith Gebele) möchte sich mit Ben (Gerhard Jilka) unterhalten, der aber will nur seine Ruhe. (Foto: Günther Reger)

Die Neue Bühne Bruck spielt Harold Pinters "stummen Diener". Bei der Premiere gibt es für zwei Killer viel Beifall

Von Andreas Ostermeier, Fürstenfeldbruck

Spätestens seit Quentin Tarantinos Film "Pulp Fiction" gelten Profikiller als coole Kerle, die ihre Mordaufträge so zuverlässig und routiniert erfüllen, wie andere Brot backen oder Hosen und Hemden verkaufen. Ihren üblen Job sieht man ihnen nicht an, und allem Anschein nach bedrückt sie das Töten auch nicht. Der Killerjob ist ein Job wie jeder andere, das ist der Eindruck, den Gangster wie Vincent Vega und Jules Winnfield vermitteln. Zwei frühe coole Kerle dieser Art sind Ben und Gus, das Killerduo in dem Harold-Pinter-Stück "The Dumb Waiter", auf Deutsch: "Der stumme Diener". Pinter hat es 1957 geschrieben, zwei Jahre später feierte es in Frankfurt Uraufführung. In der Neuen Bühne Bruck ist das Stück, das zum absurden Theater zählt, jetzt zu sehen, die Gangster werden gespielt von Judith Gebele (Gus) und Gerhard Jilka (Ben), Regie geführt hat Ralph Hüttig.

Glamourös ist an Pinters Verbrechern allerdings nichts. Ben trägt einen Anzug mit Leopardenmuster, was eher auffällig als chic ist, und er hat eine Zeitung dabei, um sich die Zeit bis zum Einsatz zu vertreiben. Gus' Kleidung erinnert an das Aussehen eines Kellners. Eher trostlos ist auch der Ort, an dem Ben und Gus auf ihren Einsatz warten. Auf der Bühne ist eine zugige Rumpelkammer zu sehen, in der eine Couch steht, abgelegte Bücher und altes Geschirr aufgehoben werden und die ansonsten so kahl ist, dass es einen fröstelt und man die Muffigkeit des Raums zu riechen glaubt.

Dort wartet das Killer-Duo auf den Einsatzbefehl. Die beiden Gangster sind ein ungleiches Paar, Gus ist der jüngere Partner, weniger erfahren im Warten. Dies und die Unwissenheit, wer das Opfer sein soll, nagen an ihm. Erst begeistert er sich noch für das vorgefundene Geschirr, und der Versuch, Tee zuzubereiten, lenkt ihn ab. Aber schon bald nährt das Warten seine Zweifel am Auftrag. Judith Gebele spielt diesen Gus als nervösen Burschen, der die Füße nicht still halten kann. Immer wieder spricht Gus seine Zweifel an, Ben ist bald genervt. Macht sich Gus viele Gedanken, so macht sich Ben kaum welche. Er hat die Routine aus einem langen Berufsleben, will nur dasitzen und Zeitung lesen. Das Gezappel und die Fragen von Gus kontert er, indem er Streit mit seinem Partner sucht. Gerhard Jilka spielt den Ben als Choleriker, dem man die Brutalität durchaus zutraut, die sein Job von ihm fordert.

Die beiden sind aber auch ein vertrautes Paar. Sie kennen die Sätze des anderen, bevor dieser sie spricht, sie wissen die Antworten, die der andere auf Fragen gibt. Sie könnten ebenso gut Eheleute sein, in den Rollen, die von Frauen und Männern erwartet worden sind (und teilweise heute noch erwartet werden). Ben ist der Mann, der sich selbst genügt und vom Partner laut und bestimmt seinen Tee einfordert. Gus ist die Frau, er kümmert sich um Essen und Trinken und sucht ständig den Gesprächskontakt mit dem Partner.

Aufgebrochen wird diese Zweisamkeit durch den Speiseaufzug (englisch: dumb waiter). Der fährt nach unten in den verliesgleichen Keller, in dem Ben und Gus warten, und enthält Essensbestellungen. Das verwirrt die beiden Killer zusätzlich: Befinden sie sich in der Küche eines Gastbetriebs? Wer weiß, dass sie da unten sind? Auf eine solche Situation sind sie nicht vorbereitet. Sie stellen den mitgebrachten Essenskorb, der einige wenige Lebensmittel enthält, in den Aufzug, als dieser wieder einmal bei ihnen ankommt, und schicken ihn nach oben. Auch telefonisch nehmen sie Kontakt auf. Schlau werden können sie aus dem Mitgeteilten allerdings nicht. Als dann der Auftrag endlich erteilt wird, passiert etwas ganz Unerwartetes.

Hüttig hat das Stück in der Tradition des absurden Theaters inszeniert, die Bühne ist karg, sie gleicht den banalen Sätzen der Akteure, ihre Bedeutung gewinnen sie nicht aus dem Gesagten, sondern aus dem Abgrund hinter den Worten, eben wenn Killer über die Schönheit von Geschirr reden oder in Erinnerungen an ein Fußballspiel schwelgen. Die Premiere endete mit viel Beifall.

"Der stumme Diener", Neue Bühne Bruck, Fürstenfeld 11, Vorstellungen am 26. November um 20 Uhr, 12. Dezember 19 Uhr sowie 17. und 18. Dezember jeweils 20 Uhr

© SZ vom 23.11.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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