Theater:Der falsche Adolphe

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Vincent (Dieter Fernengel, r.) erlaubt sich einen Scherz, der die Stimmung bei Essen mit Pierre (Gerhard Jilka, Zweiter v.r.), Babou (Kerstin Krefft) und Claude (Theiss Heidolph) gründlich versaut. (Foto: Günther Reger)

Die französische Komödie "Der Vorname" ist im Kino ein Hit. In der Version der Neuen Bühne Bruck egibt sich eine unmittelbare Theatererfahrung - und ein großes Vergnügen

Von Valentina Finger, Fürstenfeldbruck

Wer vor rund drei Jahren die Hitler-Satire "Er ist wieder da" an der Neuen Bühne Bruck gesehen hat, dem sind im aktuellen Spielplan komische Momente vergönnt, die anderen Zuschauern entgehen müssen. Damals spielte Gerhard Jilka den auferstandenen Adolf Hitler, und das so brillant, dass man, noch während man über seine vorzüglich imitierte Nazi-Rhetorik lachte, vor seiner Gegenwart erschauderte. Frank Piotraschke, der die Saison 2018/19 an der Neuen Bühne nun mit der französischen Komödie "Der Vorname" von Matthieu Delaporte und Alexandre de la Patellière eröffnet hat, führte auch bei "Er ist wieder da" Regie. Es ist schwer vorstellbar, dass er nicht noch das Bild von Jilka in NS-Uniform im Kopf hatte, als er erneut mit ihm probte.

In "Der Vorname" spielt Jilka den Literaturprofessor Pierre, der mit seiner Frau Babou, (Kerstin Krefft) ein Abendessen für die Familie gibt. Als sein Schwager Vincent, gespielt von Dieter Fernengel, ihm eröffnet, dass er seinen Sohn Adolphe nennen möchte, steigert sich Pierre in eine Schimpftirade, in der man - und so viel Ironie ist Profis wie Jilka und Piotraschke durchaus zuzutrauen - etwas von den Wutausbrüchen seiner Hitler-Figur erkennen kann. Dass die sich nun gegen den Nazi-Namenspatron richten, ist ein raffinierter intertextueller Kniff. Er verpasst der ohnehin lustigen Szene den letzten Schliff.

Wenn man diesen Rückbezug nicht herstellen kann, ist das, was Piotraschke und seine fünf Darsteller mit dem Text von Matthieu Delaporte und Alexandre de la Patellière gemacht haben, noch immer zum Lachen. Was als eine hitzige Diskussion um erlaubte und verbotene Vornamen beginnt, steigert sich zu Kleinkriegen der Charaktere. Die zwischenmenschlichen Sympathien der Dinner-Gesellschaft wechseln permanent, mal sind es die besten Freunde Vincent und Pierre, die sich gegenseitig anprangern, mal die jeweiligen Ehepaare, die ihre Beziehung in Frage stellen. Etwas am Rande scheint bei all dem zunächst der gar nicht streitsüchtige Schein-Single Claude zu stehen. Dies geht auf die Spielweise von Theiss Heidolph zurück, der seine Figur, einen gehemmten Posaunenspieler, absichtlich reserviert hält, um am Ende mit dem größten Skandalgeheimnis überhaupt herauszuplatzen.

Eine der lustigsten Szenen ist, als Vincents Frau Anna (Rilana Nitsch), sich verwundert über Pierres Empörung darüber zeigt. Denn sie ist zu spät gekommen und ahnt nicht, dass ihr Mann sich mit "Adolphe" einen Scherz erlaubt hat. Sie geht davon aus, dass er den Freunden den Namen Henri verkündet hat. Alle Darsteller überzeugen in ihren Rollen, doch die Duo-Dynamik von Gerhard Jilka und Dieter Fernengel bildet das Herzstück der Inszenierung. Vor allem letzterer hat mit seinen wilden Grimassen und Gebärden, abgestimmt auf seine spitzbübischen Bemerkungen, die Lacher durchgehend auf seiner Seite.

Es ist kein Wunder, dass "Der Vorname", der 2010 in Paris uraufgeführt wurde, im Oktober bereits in seiner zweiten, diesmal deutschen, Filmfassung in die Kinos kommt. Die Geschichte funktioniert, weil sie unterschiedlichste Weltanschauungen und Lebensentwürfe zusammenbringt, weil sie Zwischenmenschliches in den Fokus stellt und aus Spaßmomenten mühelos ernste Emotionen entstehen lässt.

Das alles bleibt in Frank Piotraschkes Inszenierung des Stoffs erhalten. Doch statt an einer gedeckten Tafel spielen sich die Konflikte an der Neuen Bühne in einem Meer von Kissen ab, Sitzsäcke dienen als Stühle und wenn Vincent gegen Ende auf Claude losgeht, kommt es nicht zu einer Schlägerei, sondern zu einer Kissenschlacht. Bei aller Kuscheloptik des Bühnenbilds packt Piotraschke die komplexen Konstellationen nicht in Watte, im Gegenteil: Reduziert auf das Agieren der Schauspieler miteinander wird die Essenz der Beziehungskrisen herausgekitzelt. Heraus kommt eine unmittelbare Theatererfahrung, die sich anfühlt wie direkt aus dem Schlafzimmer der Figuren.

"Der Vorname" an der Neuen Bühne Bruck, nächste Aufführungen am 28. und 29. September, weitere Termine im Oktober. Karten unter 08141/18589

© SZ vom 24.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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