SZ-Serie "Was Olching bewegt", Folge 3:Lückenhafte Ortsgeschichte

Lesezeit: 3 min

Die Archivarin Angelika Steer sucht nach Zeugnissen aus vergangenen Zeiten. Deshalb will sie einen Stammtisch gründen, zu dem die Olchinger Erinnerungsstücke mitbringen sollen

Von Ekaterina Kel, Olching

Ein Hochwasser zerstörte 1965 fast das gesamte Archiv der Stadt Olching, damals noch ein Gemeindearchiv. "Heute ist nicht mehr viel da", sagt Angelika Steer, die das Archiv seit Juni vergangenen Jahres verwaltet. Beim "SZ im Dialog" hat sie davon erzählt, wie sie das Interesse der Olchinger für die Historie der Stadt wecken will. In einem Raum im Keller des Rathauses steht die Historie - in Kartons mit Dokumenten und Fotos. Von letzteren sind bloß sehr wenige da.

Deshalb kaufte die Stadt vor vier Jahren das private Archiv von Fritz Scherer, darunter viele Bilder, die der verstorbene selbsternannte Ortschronist, Journalist, Fotograf und Altolchinger machte. Scherer dokumentierte ab 1968 Olchings Gebäude, Abrisse, Änderungen, längst vergessene Orte, Vereinstreffen. "Es war wichtig, dass wir wieder Fotos haben", sagt Steer. Scherers Archiv ist 2014 in der Besitz der Stadt übergegangen und Steer hebt es in ihrem Zimmer im ersten Stock des Rathauses in einem Schrank auf. "Dann muss ich nicht ständig runter in den Keller laufen." Wenn sie die alltäglichen Aufgaben einer Archivarin erledigt hat, widmet sie sich Scherers Sammlung. Siebzehn Karteikisten und dreißig Ordner, lose nach Themen sortiert, handschriftlich mit Jahreszahlen beschriftet, ohne Namen der Abgebildeten, viele Fotos doppelt und dreifach, oder zwischen Zeitungsartikeln versteckt. Zwischendurch tauchen von seiner Mutter gesammelte alte Ansichtskarten von Olching auf. Oder Fotos aus der Zeit vor dem Krieg, die Scherer einfach abfotografierte. Dazu kommen fünf Schreibhefte, in denen Scherer eine Art Verzeichnis seiner Fotos führte. "Ich muss das mühsam sortieren", sagt die 55 Jahre alte Kunsthistorikerin. Trotz der Unordnung freut sie sich über die Aufgabe. "Das ist für mich nicht so ganz einfach aber sehr schön".

Angelika Steer erinnert sich gern daran, wie sie als Kind im Bögelweiher schwimmen gelernt hat. (Foto: Günther Reger)

Als die Sammlung aus dem Haus des Fotografen abgeholt wurde, war Steer dabei. Die Witwe von Scherer habe damals aus jeder Schublade etwas herausgeholt, erinnert sich die Archiv-Verwalterin. Auch Steer findet jetzt in der Sammlung "in jeder Ecke" ein Foto. Darauf: Weihnachtsfeier des VdK von 1969, zum Beispiel. Aber wer da drauf zu sehen ist, "das muss ich dann in alten Vereinsunterlagen herauskriegen." Steer kann nur schätzen, wie viele Fotografien die Stadt genau erworben hat. Ein paar Tausend seien es auf jeden Fall, aber noch unter 10 000, sagt sie. Zudem seien noch die meisten Negative gut erhalten.

Steer ordnet und digitalisiert die Sammlung "peu à peu". Und weil es nicht chronologisch geht, widmet sie sich den Bildern, die sie selbst interessieren, zuerst. Wenn sie etwas aus ihrer Kindheitserinnerung wieder entdeckt, dann bleibt sie dran. Etwas, das längst weg ist, weckt ihre Erinnerung. Wie das alte Feuerwehrhaus an der Estinger Straße, an seiner statt steht heute ein Maibaum. Oder der Bögelweiher vor der Fünf-Löcher-Brücke auf der linken Seite. Heute ist der Weiher von allen Seiten mit Büschen zugewachsen und kaum zu sehen. Aber früher, erzählt Steer, läge er fast vollständig frei. Die Eisstockstützen seien im Winter darauf gewesen. Und im Sommer lernten die Kinder darin Schwimmen. So auch Steer, die 1961 in Olching geboren und aufgewachsen ist und sich gern an alte Zeiten erinnert. Dank Scherers Fotos hat sie von vielen Erinnerungen endlich Fotos. In Erinnerungen schwelgen will Steer aber nicht mehr allein. "Wer hat im Bögelweiher noch schwimmen gelernt?", will sie die Olchinger fragen.

Im Keller des Rathauses archiviert sie Daten und Fakten über die Stadt. Doch wer pflegt mit ihr die Erinnerung? (Foto: Günther Reger)

Ihr schwebt ein Archivstammtisch vor, bei dem geschichtsinteressierte Olchinger zusammenkommen können. Überall gebe es historische Vereine, "aber in Olching - nichts!", sagt Steer. Jetzt sei die Stadt in der glücklichen Lage, dass sie allen die Erinnerung der älteren Bürger wieder vor Augen führen könne. Und womöglich, so Steers Hoffnung, bringen die Menschen auch ihre alten Fotos mit, die noch mehr Zeugnisse alter Zeiten abbilden. "Vielleicht hat da jemand noch was in der Schublade." Und eine Kopie fürs Archiv könne sie dann bestimmt auch machen. Denn ein Archiv, das weiß die Olchingerin, wird immer dann interessant, wenn man sich mal wieder fragt: "Wie war das mal und wie wird es mal sein?" Irgendwann wollten die Menschen eben mehr über ihre Heimat erfahren.

© SZ vom 25.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: