SZ-Serie: Start-up, Folge 9:Virtuell durch Haus und Garten

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Futora Marketing errichtet dreidimensionale Modelle von Gebäuden, die man begehen kann, lange bevor die Maurer anrücken. Die Spezialbrillen könnten auch im Schulunterricht eingesetzt werden

Von Stefan Salger, Fürstenfeldbruck

In einer Geschichte der Buchautorin Ingrid Hagenbücher funktioniert das ja längst: Der kleine Moritz findet eine Zauberbrille, die eine Hexe verloren hat. Damit kann er in die Vergangenheit und in die Zukunft blicken. Natürlich ist das nur ein Märchen. Aber so etwas wie Zauberbrillen gibt es auch im ganz realen Fürstenfeldbruck. Die Rolle des Hexers übernimmt dort Manuel Gruschka, 28, Chef eines Startups.

Der drückt einem für den Selbstversuch eine Art Fernsteuerung in die Hand und kümmert sich um den Sitz der "Zauberbrille". Wie durch Geisterhand taucht man in eine andere Welt ein, steht in einem Haus mit makellosen Wänden, tritt hinaus auf die Terrasse, von der aus man ins Grüne blickt. Mit einem Druck auf die Fernsteuerung kann man sich, fast wie die Besatzung des Raumschiffs Enterprise, in andere Räume des Hauses beamen. Alles wirkt sehr realistisch. Licht fällt durchs Fenster herein, wirft Schatten und spiegelt sich in den Gemälden an der Wand. Und doch ist die rote Tulpe in der Vase auf dem Wohnzimmertisch unerreichbar. Denn diese Welt ist nicht real. Sie ist so etwas wie ein Blick in die Zukunft. Ein Blick darauf, wie dieses Haus einmal aussehen könnte. Die Zimmer und der Garten existieren noch nicht. Ein dünnes Netz aus roten Gitterlinien, das flirrend vertikal im Raum steht, steckt die Grenzen in diesem Kosmos ab. Es zeigt, wo man nicht weiter darf, weil man sonst gegen einen Stuhl oder eine Wand in der realen Welt laufen würde.

Es gibt viele Varianten von Böden, Lampen, Tischen und Stühlen, mit denen die Räume möbliert werden. Die Bauherren können ihre künftigen Häuser mit einem Rundgang besichtigen. Der große Vorteil: Pläne können bei Bedarf frühzeitig geändert werden. (Foto: oh)

Manuel Gruschka kennt sich aus in beiden Welten. Der Jungunternehmer aus Fürstenfeldbruck ist Geschäftsführer der Firma Futora Marketing. Vor allem im Auftrag von Architekten und Bauunternehmern verwandelt er zweidimensionale Pläne von Bauprojekten in dreidimensionale und sehr wirklichkeitsnahe Modelle, die sich mit einer Virtual-Reality-Brille augenscheinlich begehen lassen. Für Bauherren oder potenzielle Käufer hat das einen großen Vorteil. Sie können das Raumgefühl auf sich wirken lassen, obwohl die eigenen vier Wände noch Zukunftsmusik sind. Und sie können noch rechtzeitig Änderungen anregen, wenn ihnen beispielsweise das Wohnzimmer doch zu klein ist oder sich der Zuschnitt der Küche als nicht praktikabel erweist. Die Pläne lassen sich dann am Computer anpassen. Keine Wände müssen dafür eingerissen werden. Pro Quadratmeter virtuelle Welt stellt Gruschka etwa zwölf Euro in Rechnung. Private Kunden können sich die VR-Brille ausleihen.

Da spielt die Musik: Manuel Gruschka, 28, hat seinen Laptop am Stammtisch des Cafés Luftraum aufgestellt. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Manchmal wirkt es so, als sei Gruschka selbst immer noch ein wenig selbst überrascht, wie gut das alles funktioniert. Bestens gelaunt erklärt er Kunden und Interessenten die Funktionsweise von Brille und Fernsteuerung und kümmert sich dezent darum, dass der Klient in der wirklichen Welt nirgends aneckt. Seinen Laptop hat Gruschka im Café Luftraum aufgebaut, das seine Mutter gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten im Juli übernommen hat. Die VR-Spiele, die er gemeinsam mit Gästen hier oft spielt, sind eher Hobby denn Job für ihn (Kasten unten). Zwei Bildschirme über dem Tresen geben den Einblick in die andere Welt. Die hat man mit der VR-Brille direkt vor den Augen - in der dreidimensionalen Variante.

Die Bildschirme über dem Tressen zeigen in zweidimensionaler Form, durch welche künstliche Welt sich Yen Phan, 27, gerade bewegt. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Manuel Gruschka hat Wirtschaftsinformatik studiert. Das folgende Masterstudium zum Softwareingenieur brach er ab, weil dafür keine Zeit mehr blieb. Denn 2016 ging es so richtig ab mit dem Start-up. Erfahrungen mit der Selbständigkeit hatte Gruschka bereits als Schüler im Alter von 18 Jahren gesammelt. Damals arbeitete er im Auftrag größerer Unternehmen im Bereich Computerspiele und IT und entwarf Homepages. Ein Praxissemester während des Studiums führte ihn nach China. Gemeinsam mit einem Kommilitonen beschäftigte er sich mit dem Marketing für eine Reifenfirma. Deren Produkte integrierten sie direkt und ohne die eher lästige Bannerwerbung in Computerspiele. Zurück in Deutschland experimentierten die beiden weiter. Und mit Hilfe eines Investors gründeten die Studienkollegen vor drei Jahren dann die Firma Futora Marketing. Mitgesellschafter sind zwei Uni-Professoren sowie eine Grafikerin.

Zunächst stand noch vor allem die Werbung in Videospielen im Blickpunkt. Neue Mitarbeiter trainierten, indem sie Häuser visualisierten. Irgendwann bekamen das die Architekten aus dem Nachbarbüro mit. Und schnell wurde das Potenzial dieser virtuellen Konstruktionen in der realen Geschäftswelt klar. Seither widmen sich Geschäftsführer Gruschka sowie seine vier Mitarbeiter fast ausschließlich diesem Feld. Den Durchbruch schafften sie 2017, als sie ein großes Unternehmen aus Nürnberg für ein zwei Jahre laufendes Projekt als Kunden gewannen. 40 Häuser galt es zu visualisieren, mit Möbeln und Varianten für Fliesen, Türen und Dächer. Auch mit der Firma Vilgertshofer aus dem Landkreis kam er ins Geschäft. Es folgten kleinere Projekte für Makler und Architekten, bevor diesen Mai wieder ein größerer Auftrag von einer in Frankfurt ansässigen Firma folgte. Jüngst jettete Gruschka für Gespräche mit dem Immobilieninvestor Paul Misar nach Mallorca. Viel Raum in der realen Welt braucht die kleine Firma nicht. Dem 28-Jährigen genügt ein Büro in seinem Elternhaus, die Kollegen arbeiten zumeist ebenfalls von zu Hause aus oder sind mit Laptop und Brille unterwegs zu Kunden. Um diese für die Möglichkeiten der Visualisierung zu begeistern, scheute Futora jüngst auch nicht den Weg in einen Siebzigerjahrebau, der nicht als architektonisches Glanzstück durchgeht: Im Fürstenfeldbrucker Landratsamt fand im April zum wiederholten Mal die von der Wirtschaftsförderung des Kreises ausgerichtete Jungunternehmer-Messe statt.

Die Ideen gehen Gruschka nicht aus. Nach dem Schritt vom Computerspiel zur Visualisierung von Häusern könnte er sich weitere Arbeitsfelder vorstellen. "Der Bildungsbereich wäre durchaus interessant", sagt er. So könnte der Schulunterricht anschaulicher und spannender gestaltet werden, wenn man beispielsweise im Fach Physik die Bahnen der Planeten, die Wirkungsweise von Körperscannern oder den Verlauf von Schallwellen dreidimensional und aus verschiedenen Perspektiven darstellen könnte.

© SZ vom 14.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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