SZ-Serie: Die Seele des Vereins, Folge 3:Die Provokateurin

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Heike Lotterschmid schuf mit der Gründung des Olchinger Frauentreffs (OFT) vor 25 Jahren einen Ort, an dem sich Frauen im Landkreis austauschen und vernetzen. Obwohl die kämpferische Feministin viel erreichte, möchte sie noch lange nicht aufgeben. Weil es viel zu tun gibt, wünscht sie sich mehr junge Aktivistinnen

Von Julia Bergmann, Olching

Heike Lotterschmid ist keine Frau von falscher Zurückhaltung. Ganze 400 Lebenjahre mehr würde sie sich wünschen, wenn sie könnte. "Wenn ich noch so lange weiter machen würde, dann gäbe es das bestimmt: die Gleichberechtigung von Mann und Frau", sagt die 74-Jährige, die vor 25 Jahren den Olchinger Frauentreff (OFT) gegründet hat. Nun sind 400 Jahre eine ziemliche Hausnummer und ein Wunsch, wie der von Lotterschmid, lässt in gewisser Weise aufhorchen. Immerhin könnte man argumentieren, dass Feministinnen in den vergangenen rund 150 Jahren viel erreicht haben, was zuvor undenkbar war. Das Frauenwahlrecht etwa, den Zugang zu einstigen "Männerberufen", das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung und die Möglichkeit, gleichzeitig Kinder und Beruf zu haben. "Natürlich, es hat sich schon viel getan," sagt Lotterschmid. Viele Rahmenbedingungen haben sich verändert. Viele aber auch nicht. "Denken Sie an den Pay-Gap", sagt sie. Und in zahlreichen Köpfen sei die Gleichberechtigung bis heute nicht angekommen. Gerade deswegen hat die Olchingerin nie aufgehört, sich für ihren Verein, der sich vor allem die Förderung von Frauensolidarität auf die Fahnen geschrieben hat, zu engagieren.

Vor nunmehr 26 Jahren hat Heike Lotterschmid den Olchinger Frauentreff gegründet. Sie schuf damit einen Ort, an dem sich Frauen austauschen und vernetzen, um sich für ihre Bedürfnisse stark zu machen. "Im Mai 1990 kam ich für die Freien Wähler gerade frisch in den Olchinger Gemeinderat", erinnert sich die Vorsitzende. "Auf mein Bestreben hin wurde ich auch gleich zur Gleichstellungsreferentin gekürt." Es dauerte keine vier Wochen, bis sie zum ersten Frauenforum in der Gemeinde einlud, einer Art offenen Diskussionsrunde, die klären sollte, welche Themen die Olchingerinnen bewegten. Zwei der brisantesten waren die Kinderbetreuung und damit verbunden die Berufstätigkeit der Frau. Zwar habe es damals durchaus Betreuungsplätze gegeben, nur lag die Abholzeit bei 11 Uhr vormittags, spätestens 11.30 Uhr. "Jetzt stellen Sie sich mal vor, wie toll Sie da berufstätig sein konnten", sagt Lotterschmid. Durch ihren Einsatz und die Unterstützung der Mehrheit im Gemeinderat entstanden nach und nach neue Betreuungsplätze. Von da an war der Olchinger Frauentreff geboren und im Verein gab es regelmäßig Diskussionsrunden und Vortragsabende zu unterschiedlichen Themen.

Würde sie noch 400 Jahre weitermachen, dann gäbe es die Gleichberechtigung von Mann und Frau ganz bestimmt. Davon ist Heike Lotterschmid überzeugt. (Foto: Günther Reger)

Gut erinnert sich Lotterschmid an die Anfänge des OFT in den Neunzigerjahren, als die Männer meinten, ihre Frauen bräuchten so etwas nicht. Wie der neue Verein von der Bevölkerung aufgenommen wurde, habe sich auch daran gezeigt, dass im Gründungsjahr gleich mehrere Wagen beim Faschingszug der neuen Frauengruppe gewidmet waren. Heute, 25 Jahre später, ist die Einrichtung zum Austausch und zur persönlichen Weiterbildung ein selbstverständlicher Teil des Stadtlebens geworden, wenn auch die Zahl der Mitglieder nach und nach abnimmt. Von 96 zu guten Zeiten bis knapp unter 50 heute. Für Lotterschmid aber kein Grund, ihr Engagement zu beenden. "Ich bin so unglaublich froh, dass es den OFT gibt." Hier erlebe sie viele kluge Frauen, die zusammenhalten und sich gegenseitig bereichern.

Lotterschmids Engagement für Frauenthemen entwickelte sich nicht erst, als sie 1990 in den Gemeinderat einzog und mit einer Gruppe engagierter Frauen zusammen den Verein gründete. Aktiv wurde sie schon Ende der Siebzigerjahre. Damals hatte sie eine Fraueninitiative ins Leben gerufen, die jahrelang gegen den Bau einer Aluminium-Salzschlacken-Aufbereitungsanlage in Geiselbullach kämpfte - mit Erfolg. Die Frauen demonstrierten gegen Atomkraft, gegen Umweltverschmutzung, für Frauenrechte. Sie waren politisch aktiv und hartnäckig. "Es war ein permanenter Aufbruch, das war eine sehr spannende Zeit. Es gab ja auch eine Friedensbewegung im Landkreis. Das war alles eng verwoben", erzählt sie.

Der Ursprung ihres feministischen Interesses liegt noch weiter zurück. Angefangen hatte alles mit einer Cousine, die in den USA lebte. Sie war es, die Lotterschmid mit dem Ms. Magazine versorgte, einer feministischen Zeitschrift, die von den Aktivistinnen Gloria Steinem und Dorothy Pitman Hughes ins Leben gerufen wurde. "Und auch mit progressivem Gedankengut." Dann war da noch Lotterschmids Mutter, "die zwar in einer sehr bescheidenen Hausfrauenfalle festsaß", die aber 1920 als eines von wenigen Mädchen bereits ein Gymnasium besucht und sich obendrein für feministische Literatur interessierte. "Sie war selbst eine sehr gebildete Frau, die sich aber nicht gegen den übermächtigen Patriarchen zur Wehr setzen konnte", so Lotterschmid. "Später konnte ich die Freiheiten leben, von denen sie geträumt hat."

Später, in einem VHS-Gesprächskreis, begann Lotterschmid Kontakte zu knüpfen, die sie dazu brachten, sich auch aktiv zu engagieren. Etwa mit Dorothea Kobler und Helga Clajus-Belzner, die den Gesprächskurs leiteten. "Gerade Helga hat uns ganz viele feministische Gedanken vermittelt. Sie hat auf ganz feinsinnige Art etwas in unseren Köpfen bewegt", sagt sie. Nicht laut und kämpferisch, sondern ruhig und nachhaltig. "Das war eine ganz sanfte Hefe, die alles zum Gären gebracht hat." Nicht nur, wenn es um Frauenrechte ging. Dass ein halbes Jahrhundert später Feminismus immer noch als Trotzreaktion verbitterter Frauen missverstanden wird, gerade von Männern, ist für Lotterschmid unverständlich. "Ich finde es einfach blöd. Der Feminismus ist für die Frau das, was die Gewerkschaft für die Arbeiterschaft sein sollte: eine Lobby. Der Feminismus vertritt Frauenrechte, er richtet sich nicht gegen Männer." Und dennoch, immer wieder würde das fehlinterpretiert. Ein Jurist habe ihr zum Stichwort Emanzipation einmal davon erzählt, wie viele Männer er vertreten habe, die von ihren Frauen mit Bratpfannen verprügelt worden seien. "Also das ist sicher nicht Feminismus", sagt Lotterschmid entschieden. Froh ist sie darüber, dass ihr Mann Eugen nicht zu denen gehört, die den Einsatz für Frauenrechte als Bedrohung wahrnehmen. In den 53 Jahren ihrer Ehe hat er sie immer unterstützt. "Er hat das ja alles ausgehalten. Meine ganzen Ideen und all die Frauen, die ständig bei uns ein- und ausgegangen sind", sagt sie und lacht.

Sie würde sich wünschen, dass wieder mehr junge Frauen aktiv werden. Genug zu tun gebe es. Aber gerade junge Frauen, ja sogar Autorinnen, die sich mit entsprechenden Themen befassten, scheuten das Label der Feministin. "Fast als wäre es etwas Anstößiges", meint Lotterschmid. Für sich selbst hat sie diese Bezeichnung nie abgelehnt, wie sie betont: "Ich habe noch nie eine Provokation vermieden."

© SZ vom 08.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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