Streit um Großlager:Ausgehandelt

Lesezeit: 3 min

Sie bringen viel Gewerbesteuer, aber auch viel Verkehr: Immer wieder suchen Konzerne wie Aldi riesige Flächen für ihre Großlager. Manche Kommunen tun alles für eine Ansiedlung, andere sind gar nicht begeistert.

C. Deussing und K. Riedel

Die Schnäppchen der Woche hängen an der Kasse aus, auf Plakaten, wie in jedem Supermarkt. Doch etwas ist anders hier in der Aldi-Filiale im Gilchinger Gewerbegebiet Süd. Denn hier wirbt der Discounter in eigener Sache: Und zwar für jenes Schnäppchen, bei dem die Gemeinde zuschlagen soll, bevor ein anderer schneller ist, so will es Aldi.

Am besten direkt am Autobahnkreuz: Großhandelskonzerne suchen für ihre Auslieferungslager Standorte, von denen sie aus ihre Waren schnell in der Region verteilen können. Im Großraum München gibt es Dutzende Logistikzentren, nicht immer sind die Kommunen erfreut über die Ansiedlungswünsche. (Foto: dpa/dpaweb)

Im Angebot: Ein 49.000 Quadratmeter großes Auslieferungslager, das die Filialen im Münchner Westen und Südbayern mit Waren versorgen soll. Der Preis für die Gilchinger: Ackerland muss in Bauland umgewandelt werden, dafür winken eine Million Euro jährlich an Gewerbesteuern, die Gilching sich mit dem Nachbarn Gauting teilen müsste, da der von Aldi günstig erworbene Acker unweit des Gewerbegebietes Gilching Süd auf dem Gebiet beider Gemeinden liegt.

Doch dieser Preis ist manchem Gilchinger Politiker zu hoch. Aldi Süd pokert: Arbeitsplätze und stabile Gewerbesteuereinnahmen seien attraktiv, 30 Millionen Euro will man investieren. Das fand auch Eichenau, dort steht bislang ein Aldi-Großlager für den Münchner Westen, und nur zu gern hätten die Eichenauer es gehalten, konnten aber kein geeignetes größeres Areal anbieten. Also machte sich Aldi auf die Suche, kaufte 12,5 Hektar günstiges Ackerland und stellte die Gemeindevertreter vor weitgehend vollendete Tatsachen.

Die sahen sich überrumpelt - genauso wie manches High-Tech-Unternehmen, das im Gilchinger Gewerbegebiet teuer erschlossene Flächen gekauft hat und keine Nachbarschaft mit Aldi und seinen vielen Lkws wünscht. Manche stellen jetzt gar die eigene Ansiedlung in Frage und machen so Druck auf die Gemeinde, die sich entscheiden muss: Will sie die Zukunft ihres Gewerbegebietes auf einen verlässlichen Großen oder auf mehrere kleinere Gewerbesteuerzahler ausrichten?

Viele Gemeinden im für Logistiker sehr attraktiven, verkehrsgünstigen Münchner Umland stellen sich diese Frage. Als etwa Rewe im vergangenen Jahr laut darüber nachdachte, ein neues Zentrallager für Südbayern zu bauen, beeilten sich der Landkreis Erding und die Gemeinde Eitting, Platz für 28.000 zusätzliche Quadratmeter Lager zu schaffen. "Es war ein Wettlauf zwischen mehreren Standorten", sagte Eittings Bürgermeister Georg Wiester damals. Vor- und Nachteile des Lagers, das Rewe- und Penny-Filialen in Südbayern beliefert, wurden nicht abgewogen. Man war froh, Rewe und die Gewerbesteuern zu halten.

Das zögerliche Verhalten der Gilchinger hingegen zeigt, dass nicht alle Gemeinden - trotz sinkender Gewerbesteuereinnahmen - zum Spielball von Konzernen werden wollen. Die Gilchinger wollen ihre Planungshoheit behalten. Denn Großzahler machen Gemeinden auch abhängig und erpressbar. Besonders die CSU-Mehrheitsfraktion, die nicht als gewerbefeindlich bekannt ist, fühlt sich vor den Kopf gestoßen. Sie warnt gemeinsam mit den Grünen vor dem "massiven Eingriff in das Landschaftsschutzgebiet", den möglichen Verkehrskollaps und enormen Flächenverbrauch.

Am Dienstagabend zog Aldi nur Stunden vor der Gemeinderatssitzung seine Pläne zurück. Aldi-Süd-Prokurist Michael Klöter, der für 37 Filialen zwischen Dachau und Garmisch zuständig ist und die Kritik aus Gilching nicht versteht, gab den Kampf um das Logistikzentrum auf. Denn es steht Ersatz bereit: Die Gautinger dürften Aldi mit offenen Armen empfangen. Hinter verschlossen Türen winkten die Gemeinderäte im Juni das Projekt durch. SPD-Bürgermeisterin Brigitte Servatius hält es für realistisch, das Projekt unweit des Flughafens Oberpfaffenhofen allein zu stemmen, sagte sie am Dienstag der SZ. Und dann auch allein zu kassieren.

Bergkirchens Bürgermeister Simon Landmann (CSU) kann das gut verstehen. Dennoch warnt er, dass es gefährlich sein kann, nur auf einen zahlungskräftigen Großbetrieb zu setzen. "Lieber nehme ich zwei Betriebe, am besten aus unterschiedlichen Branchen", sagt er. In seinem Gewerbegebiet Gada, an der Autobahn 8 und der B 471 gelegen, setzt Landmann auf eine gesunde Mischung.

Auch viele Logistiker haben sich wegen der verkehrsgünstigen Lage dort angesiedelt - aber Logistik sei heute ein weiter Begriff, sagt Landmann, der nicht ausschließe, dass vor Ort Waren veredelt würden, nicht nur gelagert und ausgeliefert. Auch eine Großbäckerei zählt zu den Bergkirchener Gewerbetreibenden - denn dort entstehen viel mehr Arbeitsplätze pro Quadratmeter als in einem Großlager, von dem aus nur Waren verteilt werden. Und diese ziehe weniger Schwerlastverkehr nach sich als beispielsweise ein Discounterlager.

Pragmatischer sieht das Franz Finauer (UBA), Bürgermeister aus Anzing im Landkreis Ebersberg . "Lidling" wird seine Gemeinde verspottet, weil dort ein mächtiges Lidl-Auslieferungslager aus dem Feld ragt wie ein Buckelwal. Zuletzt machte der Gemeinderat, trotz einiger Bedenken, den Weg frei für einen zweiten Riesen, der von Anzing aus Kunden beliefern will: für den Möbelhändler XXXLutz, der ein nahes Auslieferungslager und Servicezentrum für seine Aschheimer Verkaufsflächen brauchte.

Mit den Lidl-Einnahmen konnte Anzing Rat- und Feuerwehrhaus bauen, jetzt müssen eine neue Turnhalle und ein Seniorenheim her, verschiedene Schulgebäude müssen saniert werden - und das wird für die Gemeinde teuer. Zudem wird Lutz die Verlegung der Straße nach Poing bezahlen; die führte bislang durch den Ort, bald durchs Gewerbegebiet. Auf ihr werden dann am Tag 615 Fahrzeuge zusätzlich fahren - nur wegen Lutz. Aber die Straße, erklärt Finauer, führe ja nicht durch den Ort. Vielleicht heißt Anzing ja bald Lutzing.

© SZ vom 22.09.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: