Sozialprojekt:Integration ohne Intrigen

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Menschen mit psychischer Behinderung können oft nicht am normalen Arbeitsleben teilnehmen. Das Café Zenja bietet ihnen eine Beschäftigung in einer harmonischen Gemeinschaft und gibt ihnen die Möglichkeit, ihr Leben zu strukturieren

Von Kristina Kobl, Germering

Mittags um zwölf Uhr ist das Café Zenja gut gefüllt, alle sechs Tische im Gastraum sind besetzt, die Stammgäste warten auf ihr Mittagessen. Doch das Café ist nicht in erste Linie für die Gäste da - sondern für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Es ist ein soziales Zuverdienstprojekt für Menschen, die unter psychischen Probleme leiden. Dort können sie sich abseits des regulären Arbeitsmarktes etwas dazuverdienen, bekommen Anerkennung - und vor allem: Struktur.

"Die Gäste wissen, dass es das Café nicht nur für die Gäste gibt, sondern auch für die Mitarbeiter", sagt Leonie Seyfried, die das Café seit neun Jahren leitet. "Sie wissen, dass unsere Mitarbeiter nicht das leisten können, was andere leisten. Sie vergessen das nur manchmal, wenn sie hungrig sind." Es treffen Welten aufeinander: gesunde und kranke, arme und reiche Menschen verschiedener Generationen. Der offene Treff im Germeringer Mehrgenerationenhaus "Zenja" kann sich nur dank der Finanzierung durch den Bezirk Oberbayern halten. An große Anschaffungen war bisher nicht zu denken. Dabei brauchen die Gäste im Sommer dringend frische Luft im Café. Der Adventskalender der Süddeutschen Zeitung will das Café Zenja deshalb bei der Anschaffung eines Deckenventilators unterstützen.

Die Mitarbeiter arbeiten ein paar Stunden am Stück, höchstens 14,9 Stunden pro Woche. Die meisten kommen zur gleichen Uhrzeit, erledigen die gleichen Arbeiten und bekommen dadurch die Struktur, die für sie nötig ist. Wenn einer der sechs Mitarbeiter des Projekts es mal nicht schafft zu kommen, helfen die fünf festangestellten Mitarbeiter aus. Diese Flexibilität wäre in der normalen Arbeitswelt kaum möglich. Bei Leonie Seyfried ist sie selbstverständlich. Man müsse den Menschen mit Geduld begegnen, sie nicht verändern wollen, sie so annehmen, wie sie sind.

Eine besondere Qualifikation für die Arbeit mit Menschen mit Behinderung hat Seyfried nicht, wie sie sagt - trotzdem sieht sie eine große Relevanz darin, diese in die Gesellschaft einzugliedern. "Körperliche Behinderungen sieht man. Psychische Behinderungen sieht man nicht, dadurch sind sie in der Gesellschaft weniger akzeptiert", sagt Seyfried. Im Café gebe es eine besondere Art, mit Menschen umzugehen. Während in jedem anderen Berufsbereich intrigiert oder gelästert werde, gehe es in ihrem Team um Integration und Harmonie. Keiner müsse sich profilieren, keiner müsse anderen etwas beweisen. Leute, die lästern oder Intrigen spinnen, bleiben nicht lange im Café, sagt Seyfried. Trotz aller Harmonie und Geduld kann sie auch mal genervt sein, wenn etwas nicht klappt. Manchmal schimpft sie dann, manchmal geht sie einfach eine Runde um das Haus herum.

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(Foto: SZ)

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Man müsse besonders auf die Neigungen der Mitarbeiter eingehen, sagt Seyfried. Manche haben gerne mit Menschen zu tun und arbeiten daher im Service. Andere machen sich in der Küche nützlich, wo sie den Gästen nur zeitweise begegnen. Eine Mitarbeiterin wäscht die Wäsche und gießt die Pflanzen - immer morgens, wenn noch niemand da ist, da hat sie ihre Ruhe. So kann jeder seine Fähigkeiten einsetzen und trotzdem seine Grenzen wahren.

Die ersten fünf Jahre kooperierte das Café mit dem Jobcenter. Leonie Seyfried hat damals Langzeitarbeitslosen auf dem Weg zurück in den Beruf geholfen. Bei etwa der Hälfte der Beschäftigten hat sie das geschafft. Ein paar davon nahm sie mit in das neue Modell: Sie sind nun fest angestellt und stocken das Projektteam der psychisch eingeschränkten Mitarbeiter auf. "So kann immer jemand einspringen, wenn einer der Mitarbeiter aufgrund seiner Krankheit nicht arbeiten kann."

Seit 2016 gibt es ein neues Konzept - und einen neuen Träger: den Förderverein Germeringer Insel. Die Mitarbeiter erhalten eine Motivationszulage für ihre Arbeit, das kommt der Entlohnung für ein Ehrenamt gleich. Doch um das Geld geht es weniger: Für die einen ist das Café Zenja ein Ort, um in ihrem Leben einen neuen Sinn zu sehen oder vielleicht sogar den Schritt zurück ins Arbeitsleben zu schaffen. Für andere ein Ort, an dem sie die nötige Tagesstruktur bekommen. Für wieder andere ein Ort, um günstig zu essen, Freunde zu treffen, unter Menschen zu sein. Als das Café Zenja vor drei Jahren geschlossen wurde, weil es nicht rentabel war, tat die Koordinatorin des Mehrgenerationenhauses, Anita Schindler, alles, um eine Fortführung zu ermöglichen. Es müsse einen offenen Treff im Mehrgenerationenhaus geben. Einen Ort zum Zusammenkommen, bei dem es egal ist, wer gesund und wer krank ist, wem man es ansieht und wem nicht.

© SZ vom 21.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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