"Sein und Schein":Vorgetäuschte Wirklichkeit

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Den Blick des Betrachters lenken: ein Lamm, fotografiert vor einem Gemälde, das einen Wolf zeigt (Foto: Günther Reger)

Am Tag des offenen Denkmals zeigt Ruth Strähhuber am Jexhof Beispiele für Illusion in der Malerei

Von Manfred Amann, Fürstenfeldbruck

Ein weißes Lamm, fotografiert vor einem Gemälde mit einem Wolf, verschiebt das wilde Tier nahezu in die Unachtsamkeit. Für die Malerkünstlerin Ruh Strähhuber ist diese Darstellung eine gute Gelegenheit, zu zeigen, wie in der Malerei der Blick des Betrachters gelenkt werden kann. "Das Bild ist ein Beispiel für die Nutzung der Bedeutungsperspektive", erklärte sie den Besuchern am Bauernhofmuseum Jexhof, die sich am Tag des offenen Denkmals unter dem Motto "Sein und Schein" über Illusionen und Täuschungen in der Kunst informieren wollten.

Die frühchristliche und mittelalterliche Malerei habe sich fast nur der Bedeutungsperspektive bedient. Die Größe der dargestellten Personen oder Gegenstände sei dabei durch deren Bedeutung im Bild bestimmt worden, nicht durch ihre räumliche Anordnung. So wie der Wolf vom Schaf auf ihrem Bild in den Hintergrund gedrängt und so nur am Rande wahrgenommen werde, habe man das Wichtige eben betont größer oder farbenprächtiger hervorgehoben.

Anhand von zwei ihrer großflächigen Gemälde und einer bunten Vielfalt von Beispielbildern zeigte Strähhuber, dass sich schon mit wenigen Schattierungen und farblichen Abstufungen zum Beispiel eine Säulenhalle, so darstellen lässt, dass ihre gesamten Ausmaße erfasst werden. "Das ist Täuschung pur und eine Kunst, die zum Beispiel im Mittelalter kaum angewendet wurde", sagt sie. In vorgeschichtlicher Zeit habe man schon in Ansätzen perspektivisch gemalt, aber so richtig erfunden worden sei die Perspektive erst Anfang des 15. Jahrhunderts, als man daran ging, die Wirklichkeit möglichst genau darzustellen. Dafür seien sogar Rechenmodelle und Geräte als Hilfsmittel entwickelt worden. Einige Kinder waren fasziniert von den Großgemälden. "Da glaubt man, man kann einfach hineingehen", merkte ein Bub an. Erste Ansätze einer räumlichen Darstellung seien in Gemälden zu erkennen, auf denen eine Frau zum Beispiel ihre Beine übereinanderschlägt oder auf denen der Bildinhalt vor einem Hintergrund gemalt ist, sagte die Künstlerin, die auf dem Jexhof auch Ausstellungen kuratiert.

Den vielseitigen Künstler Leonardo Da Vinci sowie Albrecht Dürer bezeichnete Strähhuber als "Meister und Vollender der Perspektive" in der Renaissance. Nach und nach entwickelten Maler neben der Zentralperspektive, bei der alle Linien auf einen Punkt zulaufen, weiter. So entstanden unter anderem die oft irritierenden und Frosch- und Vogelperspektive. Zudem wurden zunächst mit mathematischen Methoden weitere räumliche Darstellungsmöglichkeiten mit mehreren oft beliebig angeordneten Fluchtpunkten entwickelt. "Ganz spannend finde ich, dass vor allem in der Barockzeit mit Illusionsmalerei wunderbare Fresken und Gemälde entstanden, die wir heute noch bestaunen". Wie Museumsleiter Reinhard Jakob anmerkte, "findet man vielen bayerischen Kirchen, auch im Landkreis und auch in der ehemaligen Klosterkirche in Fürstenfeldbruck tolle Beispiele dafür".

Als Anschauungsmaterial hatte Strähhuber für jede Art der Perspektive Bilder mitgebracht, um die verschiedenen Möglichkeiten der räumlichen Darstellung in der Kunst und in der Architektur zu erläutern. "Uns ist die vorgetäuschte Wirklichkeit gar nicht mehr bewusst, weil sie wie selbstverständlich in allen Lebensbereichen zu finden ist", befand die in Stefansberg lebende Malerin. "Perspektiven werden in der Architektur nicht mehr gezeichnet, das macht heute alles der Computer", weiß Ruth Strähhuber.

© SZ vom 16.09.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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