Schöngeising:Tante Emma kämpft ums Überleben

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2008 haben die Einwohner durch ein landkreisweit einzigartiges Genossenschaftsmodell ihren Dorfladen am Leben erhalten. Weil aber zu wenige am Ort einkaufen, rutscht dieser immer wieder in die roten Zahlen

Von Stefan Salger, Schöngeising

Tante Emma hat einen schweren Stand. Renate Schätzl weiß das aus eigener Erfahrung. Sie ist Marktleiterin im Dorfladen. Und die Schöngeisinger wissen es ebenfalls. Ein Blick ins Mitteilungsblatt der Gemeinde genügt. Da lässt sich das Befinden von Schätzl und ihrem Geschäft unter der Überschrift "Situation des Dorfladens" ablesen. Die Smileys unter den Monaten und Quartalen, die mal lächeln, mal fragend blicken und auch mal ausnehmend schlecht drauf sind, belegen, dass diese Sache eine Berg- und Talfahrt ist. Über Wasser halten kann sich der Laden in Schöngeising nur, wenn monatlich mindestens 62 000 Euro in die Kasse kommen. Im Dezember waren es 62 597 Euro, da strahlte der Smiley. Im ersten Quartal 2015 hingegen hatte es noch zappenduster ausgesehen: da galt es, eine Durststrecke mit nur knapp mehr als 50 000 Euro Umsatz im Monat zu überstehen.

Renate Schätzl lässt sich so schnell nicht unterkriegen. Aber auch sie weiß, dass Optimismus auf Dauer schwarze Zahlen nicht ersetzen kann. Zwischen dem Raum, in dem die Getränketräger gestapelt sind, dem Regal mit den Geschenkkörben und der großen Wurst- und Käsetheke räumt sie erst einmal auf mit einem schiefen Bild: Ein Tante-Emma-Laden ist der Dorfladen streng genommen ebenso wenig wie ein Kramerladen. Die mag es in Moorenweis, Landsberied und Mittelstetten noch geben. Die Schöngeisinger Variante aber ist eher ein kleiner Supermarkt. Der wird von Rewe beliefert, und in seinen Regalen stehen 3000 Artikel. "Verschiedene Artikel wohlgemerkt", betont Schätzl, die vor zwei Jahren die früheren Chefinnen Sandra Wimmer und Lydia Bals abgelöst hat und auch Vorsitzende des Vorstands ist. Denn der Dorfladen wird von einer Genossenschaft mit zurzeit etwa 300 Mitgliedern getragen. Im Landkreis ist dieses Modell einzigartig. In Kottgeisering wollen sie dem Schöngeisinger Erfolgsmodell mittlerweile folgen.

Erfolgsmodell? Gemessen am Umsatz kann davon keine Rede sein. Und doch ist es ein Erfolg, sich seit acht Jahren über Wasser gehalten zu haben. Die 1900 Schöngeisinger bekommen Lebensmittel und Waren des täglichen Bedarfs im Ort, während um sie herum die Läden dicht machen und die Leute mit dem Auto zum Einkaufen in die größeren Orte fahren müssen. Zudem bleiben dadurch Kaufkraft und Arbeitsplätze am Ort, so manche Fahrt mit dem Auto wird überflüssig. Aber Schätzl, die acht Jahre lang mit einem eigenen Wagen Feinkost auf Bauernmärkten verkauft und vor der Beförderung zur Marktleiterin eineinhalb Jahre hinter der Dorfladen-Theke Erfahrungen gesammelt hat, kostete bereits alle Höhen und Tiefen aus. "Vorletztes Jahr war es richtig schlecht, dieses Jahre wird es hoffentlich besser."

Muss es auch, denn vor ein paar Wochen musste ein neues Kassensystem angeschafft werden. Auch die alten, stromfressenden Kühlanlagen sollen im Sommer ersetzt werden. Etwa hundert zusätzliche Anteile zu je 150 Euro müssten für die Finanzierung der ganzen Modernisierung noch an die Frau und an den Mann gebracht werden. "Man muss die Leute immer wieder aufrütteln", sagt Schätzl. Um ihnen klar zu machen, dass der Dorfladen nur überleben kann, wenn viele Schöngeisinger auch hier ihre Einkäufe erledigen. Bei allen ist das noch nicht angekommen. Manche erledigen ihre Großeinkäufe auf dem Weg in die Arbeit beim Discounter und schauen in der Sudetenstraße nur dann vorbei, wenn sie mal was vergessen haben. Da hilft es auch wenig, dass Schätzl beteuert, die Discounter seien mitnichten automatisch billiger.

Um mehr Kunden zu gewinnen, haben sie das Biosortiment erweitert, setzen bei Obst und Gemüse verstärkt auf Regionalität und haben nun sogar einen Paketshop. Die "Ratschecke", bei der man sich bei einer Tasse Kaffee unterhalten kann, ist geblieben, die Wurst- und Käsetheke noch gewachsen - denn jeder fünfte Euro wird hier umgesetzt. Die Theke war schon sehr wichtig, als noch Siegfried Schwarzer dort aushalf und ab und an seinen fast schon legendären Speck anbot, den er von Ausflügen nach Südtirol mitgebracht hatte. Schwarzer gehört das Haus, er wohnt heute noch nebenan. Im Frühjahr 2008 hatte er das 1948 von seinen Eltern gegründete Geschäft abgegeben, weil es ihm einfach zu viel geworden war. Im Juli wurde der frühere Nahkauf dann als Dorfladen wieder eröffnet - mit freundlicher Unterstützung von Schwarzer, wie man wohl sagen könnte. Denn Schwarzer half noch einige Jahre ehrenamtlich und aus reiner Verbundenheit mit den Kunden und den Beschäftigten mit und gibt sich bis heute mit einer äußerst günstigen Miete zufrieden. Jüngst hat er seinen 75. Geburtstag gefeiert.

Bei der letzten Inventur habe er noch seine Hilfe angeboten, sagt Schätzl. Den Tiroler Speck gibt es zwar nicht mehr, geblieben aber ist der Fleischsalat "nach Schwarzers Rezept". Es gibt ein paar weitere Dinge, die man in der modernen Wirtschaftswelt wohl "Alleinstellungsmerkmale" nennen würde. Den - wenn auch inoffiziellen - Lieferservice etwa. So bringt Renate Schätzl einer Kundin auf dem Heimweg halt noch schnell die Einkäufe vorbei, wenn die nicht aus dem Haus herauskann, etwa weil sie krank ist oder der Gehweg im Winter recht glatt. Auch für viele der 14 Voll- oder Teilzeit-Mitarbeiter sowie Schüler-Jobber und die drei ehrenamtlichen Kräfte ist der Dorfladen so etwas wie eine Herzensangelegenheit.

Das wissen die Kunden zu schätzen. So wie Elisabeth und Josef Widmann, die vor dem Dorfladen die Einkäufe im Auto verstauen. Ein- bis zweimal pro Woche kommen die beiden hierher. Josef Widmann ist ein älterer Herr, er kann noch Auto fahren. "Aber das wird nicht immer so bleiben. Der Laden ist deshalb für uns sehr wichtig." So ein Dorfladen ist ja auch nicht nur zum Einkaufen da. "Der Kramer ist Kommunikationsbörse, ein sozialer Punkt im Ort", sagt Wilfried Schober vom Bayerischen Gemeindetag. Die Leute ratschen und tratschen. Im Discounter gehe man schnell aneinander vorbei. Nicht immer aber gelingen so kreative Lösungen wie in Schöngeising. Gerade auf dem Land würden "die Versorgungslücken immer größer", konstatiert Wolfgang Gröll, Dorfladenexperte aus Starnberg, der auch den Dorfladen Schöngeising beraten hat. Ganz zurückdrehen lässt sich die Entwicklung wohl nicht mehr. Denn die Kinder vieler Ladenbesitzer wollen das Geschäft der Eltern nicht mehr übernehmen. Und Marken wie Rewe oder Edeka setzten auf immer größere Flächen und ziehen lieber an zentrale Orte: Die durchschnittliche Verkaufsfläche ist seit den Siebzigerjahren von 250 auf 800 Quadratmeter gewachsen. Auf der Strecke bleiben die kleinen Geschäfte. Außer dann, wenn es ein Dorf schafft, genügend Engagierte für ein Gemeinschaftsmodell und gleichermaßen genügend Kunden zu finden. Wo sonst gibt es diesen unkomplizierten Lieferservice? Und wo sonst gibt es Herrn Schwarzers Fleischsalat?

© SZ vom 12.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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