Kutschen- und Schlittensammlung:Mobilität aus verganenen Zeiten

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Ludwig Weiß sammelt im Zellhof bei Schöngeising Kutschen und Schlitten. Zu jedem Gefährt hat er eine ganze Reihe von Geschichten parat. Sein ältestes Stück ist ein Omnibus, der von Pferden gezogen wurde.

Von Edith Schmied, Schöngeising

Der idyllische Zellhof strahlt einen besonderen Charme aus. Das landwirtschaftliche Anwesen kurz vor Schöngeising vermittelt Ruhe und Behaglichkeit. Die Zeit scheint hier still zu stehen. Ein Maibaum, eine kleine uralte Kapelle, die schon vor 700 Jahren im Verzeichnis der Diözese Freising zum ersten Mal erwähnt wurde. Das alles wirkt irgendwie entschleunigt.

Ein Eindruck, der sich auch beim Anblick der umfangreichen Kutschen- und Schlittensammlung von Ludwig Weiß nicht verändert. Beim Öffnen des schweren hölzernen Scheunentores fällt gleich das älteste Modell ins Auge: der um das Jahr 1860 gebaute "Postomnibus". Gepolsterte Sitze verleiten zum Einsteigen. Das Material, beigefarbener Samt, ist an den Rändern mit Borten eingefasst, Gurte fixieren die Fenster mit altmodischem Facettenschliff und dunkelblauen Vorhängen. Die kunstvoll geschmiedeten Tritte mit Stern- und Herzmotiven, die schnörkeligen Griffe am Geländer des hinteren Einstiegs zeugen von der Liebe zum Detail.

Der Begriff Omnibus ist durchaus gerechtfertigt. Acht bis zehn Passagiere fanden hier Platz. Für heutige Verhältnisse scheint das zwar ein bisschen beengt. "Aber die Leute waren ja damals noch kleiner", gibt Ludwig Weiß zu bedenken. Der Bau der Eisenbahn bedeutete schon 1873 das Ende der Pferdepostlinie, die übrigens eine der ersten in Bayern war. Den Passagierverkehr hielt der Postomnibus mit der Aufschrift "Post Prugg" bis am Karfreitag 1923 aufrecht. Als Querverbindung zwischen den Bahnlinien München - Augsburg und München - Buchloe.

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(Foto: Johannes Simon)

So reiste man in der Vergangenheit: Der gelbe Postomnibus fuhr bis Karfreitag 1923 und steht heute im Zellhof bei Schöngeising.

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(Foto: Johannes Simon)

Idylle: der historische Gutshof bei Schöngeising mit Remise.

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(Foto: Johannes Simon)

"Post Prugg" steht an der Tür, darunter das Posthorn.

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(Foto: Johannes Simon)

Auch das gehörte zur frühen Mobilität: das Geschirr der Zugtiere.

Andere Leute sammeln Oldtimer, das Herz von Ludwig Weiß hängt an seiner Kutschen- und Schlittensammlung. Die will gepflegt sein. Ganz pragmatisch gesehen heißt das: abstauben, putzen, Leder einfetten, alte und verschlissene Bezüge ausbessern und renovieren lassen. Und das immer möglichst nahe am Original.

Die etwa zwanzig Gefährte wurden fast alle um das Jahr 1900 gebaut. Bis auf eine Ausnahme stammen sie aus dem Besitz der Familie Weiß und wurden im Postdienst, der dazugehörigen Landwirtschaft und privat genutzt. Zum Beispiel ein "Phaeton" - Weiß nennt ihn "das Doktorwagerl" - ist eine weniger elegante Ausführung, mit der die Landwirte in der Stadt, nur ums "Gäu", fuhren. Auf einen gewissen Komfort wollten aber auch die Bauern nicht verzichten. Sie machten es sich bequem auf gepolsterten Sitzen in sanftem Grün, verziert mit goldenen Borten. Mit der Typenbezeichnung "Phaeton" - der Strahlende -, benannt nach dem Sohn des griechischen Sonnengottes Helios, wollte man seinerzeit wohl eine gewisse Exklusivität suggerieren.

Zu den einzelnen Gefährten hat Ludwig Weiß eine Reihe von Geschichten parat. Der "Korbschlitten" war bis in die Siebzigerjahre auch im Winter regelmäßig im Einsatz. Über die Ausfahrten mit dampfenden Rössern, durch verschneite Landschaften unter dem Sternenhimmel, gerät der Besitzer regelrecht ins Schwärmen. Zu dem geschlossenen "Landauer" in elegantem schwarzem Leder mit weißen Zierknöpfen und Familienwappen an der Tür hat der Sammler eine besondere Beziehung. In dem sehr komfortablen und gut gefederten Gefährt fuhr das Brautpaar Weiß stilecht zur Hochzeit nach Grafrath, weil Fürstenfeld damals gerade renoviert wurde. Der Inbegriff der Postkutsche ist jene, die zum Leonhardiritt Ende Oktober regelmäßig aus dem Depot geholt wird. Sie ist selbstverständlich in der typischen Farbe Gelb gehalten, auf der Tür prangt das schwarze Horn des Postillion. Im Inneren dominiert Samt in einem blass grünen Olivton. An der Türinnenseite drapiert sich der Stoff zu einer gefältelten Rosette. In dieser Kutsche lassen sich die Honoratioren der Stadt, bei Schönwetter mit zurückgeklapptem Verdeck, von zwei Pferden über den Marktplatz kutschieren.

Zwei PS reichten ebenfalls für den leichten Jagdwagen. Der war nicht unbedingt für die Jagd gedacht, dafür schnell und unkompliziert eingespannt, um bis zu sechs Personen und kaum Lasten zu befördern. Da mussten sich die Zugtiere einmal nicht so plagen wie sonst auf den schlechten und holprigen Straßen zur Postkutschenzeit im 18. Jahrhundert. Reisen war damals eine beschwerliche Angelegenheit. Bisweilen mussten die Passagiere auch aussteigen und ein Stück zu Fuß gehen, um den Pferden ihre schwere Arbeit zu erleichtern.

Wer glaubt, die Zeit der Kutschen sei passé, der täuscht sich. Das jüngste Modell der Sammlung ist erst zehn Jahre alt und mit hydraulischen Scheibenbremsen technisch gesehen das "Nonplusultra", verrät Weiß. Es ist eigentlich ein Sportwagen, genauer gesagt ein "Marathonwagen", der heute noch an Geländeturnieren teilnimmt. Vor dem Besucher steht die weniger spartanische, eher elegante und bequeme Ausführung. Das warme, glatt polierte Mahagoniholz verleiht diesem modernen Gefährt eine wohltuende Eleganz. Dass es seit rund eineinhalb Jahren in der Scheune in einer Art Dornröschenschlaf vor sich hin schlummert, hat mit einem einschneidenden Ereignis zu tun, für Pferde und Kutscher. Auf der Abfahrt vom Schöngeisinger Fernsehturm scheuten die Tiere, Kutsche und Beifahrer landeten im Straßengraben. "Jetzt hat uns der Mumm ein bissel verlassen", erzählt Ludwig Weiß. Denn Pferde, die ein Mal durchgegangen sind, spanne man nicht mehr ein: "Die vergessen nie."

Ludwig Weiß, Kutschensammler. (Foto: Johannes Simon)

Die Beziehung zu Pferden begann für Ludwig Weiß über die etwas kleinere Ausgabe, die Goaßn. Der Großvater, der Ökonomierat Ludwig Weiß, bestand darauf, dass sich die Kinder um die Tiere kümmerten, sie versorgten und pflegten. Gewissermaßen der Lohn für die Pflicht war die Ausfahrt mit dem niedlichen "Goaßbockschlitten". Das dazugehörige Schellengeläut und Kopfgestell erinnern irgendwie an Kinderspielzeug. So ein Ausflug war zwar eine Mordsgaudi aber nicht ganz harmlos. Dafür sorgten schon die vier Goaßn, genauer gesagt die Böcke. Stur wie die nun mal sind waren sie sich über die Fahrtrichtung nicht immer einig und kamen sich des Öfteren in die Quere. Gleich daneben steht die "Renngoaß", an der Vorderfront mit der typischen Bauernmalerei verziert. Sie mag ja rasant gewesen sein, aber richtig bequem sieht die rote hölzerne Hartschale mit den blauen Sitzen nicht aus. Dass die recht schnell unterwegs war lag wohl an dem ausgeglichenen Verhältnis von Mensch und Tier. Ein kleines Pferd, ein Passagier.

Wie sehr die Familie Weiß Traditionen hochhält zeigt sich nicht nur beim Vornamen Ludwig, der seit 1764 für den ältesten Sohn reserviert ist. Auch die Kutschensammlung am Zellhof wird in Zukunft in Ehren gehalten werden, von Weiß junior, einem Ludwig.

© SZ vom 02.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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