Schöngeising:Mit den Händen sehen

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Das Bauernhofmuseum Jexhof richtet einen Raum mit ertastbaren Ausstellungsstücken ein

Von Eva Runkel, Schöngeising

Hören, sehen, tasten, schmecken, riechen: Im alltäglichen Leben ist man gewohnt, alle Sinne in verschiedenem Maße einzusetzen. Oft sind wir uns gar nicht bewusst, wie sehr wir von ihrer Funktionalität abhängig sind. Doch was passiert, wenn einer dieser Sinne wegfällt? Gerade über das Sehen nehmen wir jeden Tag viele Informationen auf. Muss man auf diese dann verzichten? Nein, keinesfalls, ein neues Inklusionsprojekt am Bauernhofmuseum Jexhof in Schöngeising beweist das Gegenteil. Es gibt sehenden sowie sehbehinderten und blinden Menschen gleichermaßen die Möglichkeit, eine Ausstellung über historische Objekte zu erleben.

Das Konzept eines Museums ist bekannt: ein Schaukasten mit Exponaten und ein informierendes Schild. So weit, so gut. Wer jedoch im "Blindenzimmer" mit geschlossenen Glasvitrinen und "Bitte nicht berühren"-Schildern rechnet, wird vergeblich suchen. Stattdessen erwarten die Besucher sieben offene Holzkästen. Darin sind Alltagsgegenstände aus den Jahren 1900 bis 2018 fest auf einem herausziehbaren Einsatz fixiert. So können die Objekte von allen Seiten betrachtet werden. Und nicht nur das. "Anfassen erwünscht" lautet hier die Devise. Die Hemmung, ein Museum nur mit den Augen zu erkunden und ja nichts zu berühren, sollganz bewusst überwunden werden.

Da das Projekt im Zeichen der Inklusion steht, können für sehende, blinde und sehbehinderte Menschen die gleichen Bedingungen geschaffen werden. Zu diesem Zweck liegen Augenbinden und Blindenstöcke bereit. Leisten am Boden weisen den Weg entlang der Schaukästen und alle Schilder sind jeweils in gestanzten Druckbuchstaben und in der ertastbaren Blindenschrift, nach ihrem Erfinder Braille genannt, beschriftet. Es ist jedem Besucher freigestellt, die Ausstellung mit Augenbinde zu ertasten oder sie auf herkömmliche Art zu betrachten, jedoch ist es sehr zu empfehlen, dieses Angebot wahrzunehmen, da es eine ganz neue und ungewohnte Art der Wahrnehmung ermöglicht.

Die Einrichtung des Raumes war der Auftakt eines dreistufigen Projekts. Es sollen noch eine Grundrissdarstellung und ein Modell des Jexhofs zum Ertasten folgen. Bei der inoffiziellen Eröffnung des Blindenzimmers am Freitag wies Museumsleiter Reinhard Jakob allerdings auch auf die Schwierigkeiten bei der Umsetzung solcher Pläne hin. Das Thema Barrierefreiheit wird am Jexhof groß geschrieben, jedoch steht die gesamte Anlage unter Denkmalschutz und kann daher nicht nach Belieben umgebaut werden; es muss stets ein Kompromiss gefunden werden.

Der 60-jährige Münchner trägt seit 13 Jahren die Verantwortung für das Museum und die neue Ausstellung ist nicht die erste Aktion, die im Namen der Inklusion realisiert wird. Seit 2017 gibt Verena-Maria-Mangala Wendt schon sogenannte "Low Vision"-Führungen. Dabei versucht sie, Menschen mit Sehbehinderung die regulären Expositionen begreifbar zu machen. Die Kunst- und Kulturpädagogin arbeitet seit fast neun Jahren im Bauernhofmuseum. Von ihr stammt auch die Idee für das Blindenzimmer. Für die Realisierung war Matthias Knödel zuständig. Der 47-Jährige ist gelernter Schreiner und kümmert sich seit einigen Jahren um den Aufbau der Dauerausstellungen. Dabei scheut er keine Mühen und konzentriert sich selbst auf die Details genau.

So hat er die Braille-Schrift mit Zahnbürste und Zahnpasta poliert, um sie weich und angenehm zum Ertasten zu machen. Es hat sich offenbar gelohnt: Die Schilder wurden vom stellvertretenden Bezirksgruppenleiter des Bayerischen Blinden- und Sehbehindertenbundes, Gregor Cordes, lobend kommentiert, genauso wie auch der restliche Aufbau des Projekts. Der 54-Jährige ist aufgrund einer Netzhautdegeneration selbst seit fünf Jahren blind und hat sozusagen die Qualitätsprüfung des Blindenzimmers vorgenommen. Und die hat das Inklusionsprojekt bestanden. "Man merkt, dass es mit Herzblut organisiert wurde", so Cordes. Der Inklusionsgedanke ist schon seit vielen Jahren fest im Leitbild des Jexhofes verankert und Ideen für zukünftige Projekte gibt es auch schon genügend.

© SZ vom 13.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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