Schöngeising:Es wimmelt und wuselt

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Der Jexhof zeigt Werke von Ali Mitgutsch zum 80. Geburtstag des Künstlers

Von Peter Bierl, Schöngeising

Die Wimmelbilderbücher von Ali Mitgutsch kennt jeder. Es gibt sie in Bibliotheken und Wartezimmern von Arztpraxen mit kleinen Patienten. Kinder können sich lange darin vertiefen, weil es auf jeder Seite viel zu entdecken gibt. Der Jexhof präsentiert zum 80. Geburtstag des Bilderbuchautors, Illustrators, Grafikers und Malers eine Sonderausstellung, die neben den Wimmelbildern auch andere Seiten seines Schaffens beleuchtet.

Gleich am Beginn findet sich ein Exemplar von "Rundherum in meiner Stadt" (1968), dem ersten Wimmelbuch im deutschsprachigen Raum, das dem Künstler den Deutschen Jugendbuchpreis eintrug. Das Buch wurde in elf Sprachen übersetzt und es wurden mehr eine Millionen Exemplare verkauft. Es zeigt bereits die typischen Darstellungsweise: Alle Bilder sind in kräftigen Farben gehalten, bunt und aus der Kavaliersperspektive, also aus halber Höhe, gemalt. Alle Figuren sind gleich groß, der Maler fokussiert nicht auf einen Aspekt oder eine Person, was den Betrachter zum Zuschauen animiert.

Mitten in der Tenne ist ein fast zwei Meter hohes, begehbaren Leporello aufgebaut, das zwei winterlichen Szenen zeigt. Die überdimensionale Größe versetzt den erwachsenen Besucher in die Situation eines Kindes, das eines der Riesenbilderbücher betrachtet, die Mitgutsch gegen anfängliche Bedenken der Verlage durchsetzte. Die schiere Größe soll dazu beitragen, dass Kinder vollständig in die Szene eintauchen. Ein Bild entstand 1970, es ist aus dem Buch "Bei uns im Dorf", das zweite stammt aus dem Werk "Auf dem Land" von 1996. Die Darstellungen sind durchaus realistisch, der Künstler zeigt keine bäuerliche, vormoderne Idylle, sondern einen modernen landwirtschaftlichen Betrieb (1970) und einen Ponyhof (1996). Die Gesichter in dem neueren Wimmelbild sind fülliger, die Geräte entsprechen dem Stand der Technik. Geblieben ist die Vielzahl der Szenen, darunter kleinen Gemeinheiten, wie Museumsleiter Reinhard Jakob es nennt. Kinder, die sich mit Schnee einreiben, ein Junge, der eine Fensterscheibe einwirft und ausgeschimpft wird.

Die Traumkästen zeigen witzige und surreale Kombinationen. (Foto: Günther Reger)

Manches Motiv hat autobiografische Züge und deutliche pädagogische Absichten, etwa in beiden Bildern die Darstellung eines Jungen, der im gefrorenen Teich einbricht und dem die Freunde zu Hilfe eilen. Mitgutsch selbst wurde als Kind im Stich gelassen, als er in einen Bach fiel, weil andere die Brücke angesägt hatten. Er wäre fast ertrunken und musste sich alleine aus dem Wasser retten. Die Angaben zu seiner Biografie, die neben Fotos aus der Kindheit und von der Familie zu finden sind, verraten, dass er es nicht leicht hatte.

Die Familie wurde 1944 in München ausgebombt und in ein Dorf ins Allgäu gebracht. Der Junge wurde als Stadtkind von Mitschülern und Lehrern geschlagen. Zurückgekehrt in die Stadt, wurde es nicht einfacher. Mitgutsch blieb nur die Flucht. Er hatte schnelle Beine und lief weg oder rettete sich in Fantasiewelten. Regelmäßig unternahm er lange Reisen. Bilder von diesen Touren zeigen einen ganz anderen Künstler als den Schöpfer der Wimmelbilder, ebenso wie jene Objektbilder, von Mitgutsch als Traumkästchen bezeichnet, die er im Jahr 2000 schuf.

Ein Aufenthalt in Mexiko inspirierte ihn zu dem ersten Kinderbuch "Pepes Hut", das 1959 erschien und eine erste Nominierung für den Deutschen Jugendbuchpreis brachte. Der Kinderpsychologe Kurt Seelmann animierte ihn später zu den Wimmelbildern. Daneben zeigt die Ausstellung Skizzen und Bilder zu eher klassischen Märchen und Kinderbüchern von Mitgutsch, diverse Schulbücher, darunter die Lesefibel, anhand derer die Babyboomer-Generation alphabetisiert wurde, sowie die kleinen Hefte, die zeigen, wie eine Saftpresse funktioniert oder aus Zement eine Brücke wird. Auch auf dem größten Wimmelbild der Welt, das heuer schon in der Leopoldstraße in München zu sehen war, kann man erkennen, dass Mitgutsch sich umfangreiches Wissen aneignete, bevor er anfing zu malen.

Dabei kann man von den Skizzen nicht immer auf das Endprodukt schließen. Eine Bergszene mit Wanderern und Almhütten sieht als Zeichnung eher wie ein surrealer Baum aus, in dessen breiter Krone sich Häuser, Wege, Bäche und Brücken befinden.

"Ali Mitgutsch: Eine bunte Welt voller Geschichten entdecken. Vom Wimmelbild zum Traumkästchen", Sonderausstellung im Jexhof-Museum in Schöngeising vom 4. Dezember bis 31.Januar

© SZ vom 03.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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