Schöngeising:Erinnerungen an die Vertreibung

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Neues Jexhof-Stück behandelt Vergangenheit und Gegenwart von Flucht

Von Ariane Lindenbach, Schöngeising

Die Erlebnisse sind Jahrzehnte alt und sind von unserem heutigen Alltag weit entfernt. Oder doch nicht? Das Theaterstück "Fremd. Sein. Heimat.", zu dem derzeit die Proben am Bauernhofmuseum Jexhof laufen, basiert auf den Erinnerungen, die die in Schöngeising lebende Schauspielerin Michaela Stögbauer von ihren aus dem Böhmerwald stammenden Verwandten aufgezeichnet hat. Als sie ihre Familiengeschichte von Flucht und Vertreibung vor rund 20 Jahren aufschrieb, erschienen die Geschehnisse weit entfernt und längst vergangen. Inzwischen hat das Thema durch die Flüchtlingsbewegungen an Aktualität gewonnen. Deshalb hat der Jexhof das Thema Flucht in diesem Jahr zu seinem Schwerpunkt gemacht und ein Theaterstück bei dem Schöngeisinger Regisseur Rolf P. Parchwitz in Auftrag gegeben.

Wie Parchwitz bei einem Pressegespräch erläutert, liegt dem Stück eine stark gestraffte und überarbeitete Fassung der Aufzeichnungen zugrunde, die Stögbauer in den Neunzigerjahren über die Erinnerungen ihrer Verwandten gemacht hatte. Diese flohen im Jahr 1946 nach Niederbayern. Als Stögbauer die Erinnerungen aufschrieb, dachte sie nicht daran, dass Flucht und Vertreibung sowie Integration in der neuen Heimat einmal wieder so aktuell sein würden, betont Parchwitz. Doch als das Jexhof-Team sich für das Thema Flucht entschied und nach einem Theaterstück fragte, erinnerte er sich an die Aufzeichnungen der Schauspielerin. Er schlug vor, daraus ein Theaterstück zu machen, und nahm Kontakt zu seinem früheren Kollegen, dem Dramaturgen, Journalisten und Bühnenautor Franz Csiky, auf, um ihm diese Aufgabe zu übertragen.

Beide kannten sich von der Badischen Landesbühne, an der Parchwitz von 1986 bis 1993 Intendant war. Da Csiky aus Rumänien stammt und 1983 vor der Ceaușescu-Diktatur geflohen ist, konnte er sich nach den Worten des Regisseurs der Thematik besonders gut annähern. Monatelang überarbeitete der Dramaturg in enger Abstimmung mit Stögbauer und dem Regisseur die Aufzeichnungen. Die Uraufführung aber wird Csiky nicht sehen, er starb zwei Wochen nach Beendigung des Stücks mit 65 Jahren. Parchwitz wollte das Werk zunächst nicht mehr auf die Bühne bringen. Doch dann habe er mit Csikys Frau gesprochen. Und die sei ganz entschieden dafür gewesen, es auf jeden Fall aufzuführen, quasi als letztes Vermächtnis des aus Siebenbürgen stammenden Csiky.

Herausgekommen ist ein Zweipersonenstück mit musikalischer Begleitung (David Jäger spielt Klarinette und Saxofon). Die Schauspieler Stögbauer und Kurt Schürzinger spielen ein Geschwisterpaar, das einen Koffer voller Aufzeichnungen über die Vertreibung und Flucht der Familie aus dem Böhmerwald erbt. Wie Parchwitz erzählt, kann das Stück "mit relativ wenig bühnentechnischem Aufwand" inszeniert werden, denn das Bühnenbild besteht nur aus dem Koffer, einem Garderobenständer, zwei Klappstühlen und einigen wenigen Requisiten. Die Schauspieler kramen in dem Koffer, lesen in Briefen und Tagebüchern und schlüpfen jeweils mit nur einer Requisite in verschiedene Rollen. Auf diese Weise werden zwölf Personen dargestellt. Dem Regisseur zufolge wird auch ein Bezug zu heute hergestellt: Es tritt ein Pegida-Anhänger mit einer roten Clownsnase auf. Treffenderweise lautet der Untertitel auch: "Wenn Vergangenheit und Zukunft Gegenwart werden."

Das Stück: "Fremd. Sein. Heimat.", ist auch dank eines Zuschusses der Bürgerstiftung für den Landkreis Fürstenfeldbruck entstanden, wie Museumsleiter Reinhard Jakob sagt. Aufgeführt werden soll es von 8. bis 10. September in der Tenne des Bauernhofmuseums. Nächstes Jahr will Parchwitz damit auf Tournee gehen. Kontakte zu Bühnen in Bruchsal und Niederbayern gibt es bereits.

© SZ vom 09.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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