Puchheim:Zeichnung im Raum

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"Der letzte Block der Stadt": So heißt Tim Wolffs Hommage an den Plattenbau in Markt Schwaben. (Foto: Günther Reger)

Tim Wolff, international bekannter Installationskünstler und ehemaliger Puchheimer, zeigt einige seiner Werke im Puc. Sie sind meistens sozialkritisch, und eines besticht durch seine ungewöhnliche Machart als plastisches Gemälde

Von Valentina Finger, Puchheim

Viel sieht man derzeit nicht in der Galerie unter dem Zeltdach des Puchheimer Kulturzentrums Puc. Auf den ersten Blick eigentlich nichts, das sich als irgendetwas identifizieren ließe. Mit Klebeband hat der Künstler Tim Wolff schwarze Luftpolsterfolie um Gerüststangen gewickelt und das entstandene Gebilde mit Fäden an den Wänden befestigt. 3D-Zeichnen nennt Wolff diesen Prozess. Das erste und bislang letzte Werk dieser Art prägte sechs Monate lang die Optik der Schaustelle der Pinakothek der Moderne, die 2013 als Ersatz zum in dieser Zeit wegen Renovierungsarbeiten geschlossenen Museum errichtet worden war. Von einer entsprechend markierten Stelle aus betrachtet, ergaben die Linien damals die Umrisse eines sitzenden Soldaten - Tim Wolffs Kommentar zur Situation von vor Ort ausharrenden Soldaten in Afghanistan. Ähnlich funktioniert nun auch die Installation im Puc, vielleicht nicht ganz so effektvoll und weniger offensichtlich, doch mit einer Geschichte, die den kritischen und kathartischen Wert von Kunst illustriert.

"Tim Was Here" heißt die Ausstellung, zu der neben Wolffs begehbarer 3D-Zeichnung auch drei reguläre Zeichnungen und eine Videocollage gehören. Eine weiße Linie am Boden zeigt die Position an, von der aus der Künstler sein Werk betrachtet wissen möchte. Wer groß ist, sollte am hinteren Ende dieser Linie stehen, um das Bild zu erkennen, je kleiner desto weiter vorne. Was man vor sich sieht, wird erst mit dem Titel der Installation richtig klar: "Der letzte Block der Stadt" ist eine Hommage an den Plattenbau in Markt Schwaben, in dem Wolff Anfang der Neunzigerjahre vier Jahre lang lebte, nachdem er mit seiner Familie vom rumänischen Elisabethstadt in Siebenbürgen nach Deutschland gekommen war. Links erkennt man eine Straßenlaterne, rechts die Silhouette des tristen Hochhauses und dahinter das weite Feld, denn nach dem letzten Haus des Ortes kommt schließlich nichts mehr.

Sein Wohnort am sozialen Brennpunkt, an der Grenze zu Stadt und Gesellschaft, hat Wolff, der damals ein Teenager war, geprägt. Vorurteile und Ablehnung aufgrund einer anderen Lebenssituation, er spricht von gesellschaftlichen Mauern, sind zentrale Aspekte seines Werks. In der mit der Installation korrespondierenden Filzstift-Zeichnung "Sicher ist sicher" steht man als Betrachter hinter eben so einer Mauer, die schützt, aber auch abschottet und den Blick auf die Welt und die Menschen um einen herum versperrt. Was man aus einer solchen Perspektive nicht sieht, hat Wolff in zwei weiteren Zeichnungen festgehalten: Ein paar Augenblicke kann es dauern, bis die Figur in dem Gewirr aus schwarzen Linien erkennbar wird. Doch die gebückte Haltung, die unförmige Kleidung und die Bildtitel - "Nachtlager" und "Clochard" - identifizieren diese schließlich als Obdachlosen. Obwohl Wolffs Familie den sozialen Brennpunkt nach nur wenigen Jahren hinter sich gelassen hat und nach Puchheim gezogen ist, wo die Eltern noch immer leben, werden seine Arbeiten von prekären, meist sozialkritischen Themen bestimmt, eine Art Aufarbeitung aus der Sicht eines Entkommenen. Eher wenig mit den minimalistischen Schwarz-Weiß-Arbeiten gemein hat die Videocollage "Fade To Green And Back To Grey". Gezeigt wird diese auf einem Miniatur-Röhrenfernseher, als Objekt selbst unscheinbar und wie der Rest von Tim Wolffs Werken schnörkellos und auf das Wesentliche reduziert. Auf jenem kleinen Bildschirm fallen in Zeitlupe Hochhäuser in sich zusammen, geben durch die Staubwolken für einen Moment die Sicht auf die grün blühende Naturlandschaft dahinter frei, um bald darauf wieder wie Pilze aus dem Boden zu sprießen. Die Natur war schon vorher da, könnte eine Aussage sein, und sie wird auch dann noch da sein, wenn die menschliche Zivilisation sich längst selbst ausgelöscht hat.

Die Ausstellung "Tim Was Here" im Puc ist am Montag, Dienstag, Donnerstag und Freitag von 8 bis 12 Uhr, dienstags auch von 14 bis 16 Uhr und donnerstags von 14 bis 18 Uhr geöffnet; bis 24. Mai.

© SZ vom 25.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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