Puchheim:Verbale Keile und gute Laune

Lesezeit: 3 Min.

Grünen-Politikerin Katharina Schulze lächelt sich durch den Abend im Festzelt

Von Heike A. Batzer, Puchheim

Zwei fröhliche Frauen im Dirndl und mit Masskrug auf der Bühne, dahinter viele Menschen. Popstars lassen solcherart Bad-in-der-Menge-Fotos gerne von sich machen, und ja, auch Politiker empfinden sich bisweilen als Popstars. Weshalb Katharina Schulze, 33, und Henrike Hahn, 48, ihr Bild aus Puchheim noch am Abend in den sozialen Medien posten und mit einem "Danke, Puchheim" versehen, als wäre soeben Wahltag gewesen. Mit einem grell durch die Lautsprecher schallenden "Hallo Puchheim" und "Servus Puchheim" begrüßten die beiden Grünen-Politikerinnen am Donnerstagabend die vom Ortsvorsitzenden Manfred Sengl geschätzten etwa 600 Besucher im Volksfestzelt von Puchheim. Im Laufe des Abends scheinen die Grünen beweisen zu wollen, dass sie Bierzelt genauso gut können wie die CSU.

Ihre Anhänger honorieren das mit viel Applaus. Erst darf sich Henrike Hahn als Spitzenkandidatin für die Europawahl am 26. Mai präsentieren. Sie sagt: "Wir wollen Europa verteidigen und erneuern." Und: "Wir wollen klare Kante nach rechts außen." Und: "Es ist uns nicht egal, ob im Mittelmeer Menschen ertrinken." Danach ist Katharina Schulze dran, ihre halbstündige Rede wird 31 Mal von Beifallsbekundungen unterbrochen, das ergibt durchschnittlich einen Applaus pro Minute - ein Wert, mit dem nicht einmal CSU-Mann Markus Söder im Vorjahr bei seinem Auftritt in Maisach mithalten konnte. Katharina Schulze, Fraktionsvorsitzende im Landtag, ist die bayerische Vorzeige-Grüne: jung, weiblich, selbstbewusst, dauergrinsend, betont gut gelaunt, schnellsprechend, durchaus charismatisch. Sie beherrscht die Klaviatur der Selbstinszenierung: in wechselnden Kostümen beim Fasching in Veitshöchheim, im Dirndl beim Derblecken und im Bierzelt - und immer das Handy zur Hand. Auch in Puchheim lächelt sie sich durch den Abend und bringt unfassbar viele Wörter in nur 30 Minuten Redezeit unter. Ihren Bierkrug nimmt sie mit auf die Bühne und prostet den Zuhörern bisweilen leutselig zu wie bei einer Krüglrede auf einem Starkbierfest. Sepp Dürr, den ehemaligen Landtagsabgeordneten aus Germering, den sie schon bei seinem Eintreffen herzte, begrüßt die in Herrsching am Ammersee aufgewachsene Politikerin noch einmal eigens von oben herab ("Zeig dich, Sepp!"). Sie stößt auf die "Fridays-for-Future"-Bewegung an und auf 100 Jahre Frauenwahlrecht, beklagt freilich, dass Macht immer noch nicht gleichberechtigt verteilt sei.

Begrüßung mit der "Ghetto-Faust": Grünen-Politikerin Katharina Schulze sagt Puchheims Bürgermeister Norbert Seidl "Hallo". (Foto: Carmen Voxbrunner)

Für so viel Spontaneität klatscht das Parteivolk in die Hände. Zumal Schulze gerade so richtig in Fahrt ist und drei Politiker der bayerischen Regierungskoalition aus CSU und Freien Wählern - Scheuer, Söder und Aiwanger - "digitale Flachwurzler" nennt. Markus Söder gebe neuerdings den "Öko" und "die Mutter Theresa der Nation", spottet Schulze weiter, und Andreas Scheuer sei der Beweis dafür, "dass Politik auch ohne Fakten und Sinn" möglich sei: "Alles, was Scheuer anpackt, verwandelt sich augenblicklich in Mist!" Das alles ruft sie mit lauter Stimme, aber lächelndem Antlitz in das Festzelt hinein. Im Schnellverfahren hangelt sie sich fortan durch das, was den Grünen wichtig ist und die anderen Parteien aus ihrer Sicht nicht hinbekommen: Digitalisierung, Umweltschutz, Asylpolitik.

Schulze fordert, die notwendige Infrastruktur für die Digitalisierung bereit zu stellen, denn noch immer habe man etwa bei einer S-Bahn-Fahrt nach Herrsching nahe Gilching und Steinebach keinen Handyempfang. Den Erfolg des von der ÖDP initiierten Artenschutz-Volksbegehrens ziehen die Grünen auch auf ihre Seite. "Wir wollen Bienen, Marienkäfer, Raupe, Schmetterling retten", ruft Schulze. Wer könnte da was dagegen haben? Von den Briten wünscht sie sich, dass "sie neu abstimmen, damit sie in der EU bleiben". Der Brexit sei ein Beispiel dafür, "dass Nationalismus ins Chaos führt". Sie fordert, dass Waffenexporte in Kriegs- und Krisengebiete sofort gestoppt werden. Man brauche "eine neue Politik und keine neuen Grenzen", betont Schulze und mahnt eine "menschliche Asylpolitik" an, die nicht Menschen "nachts aus den Betten holt". Auch sei sie richtig sauer auf das SPD-geführte Außenministerium, weil es noch keinen Abschiebestopp nach Afghanistan gibt. "Es ist eine Schande für die SPD!", ruft sie auch Norbert Seidl zu, dem Puchheimer Bürgermeister, der am Tisch in der ersten Reihe zuhört: "Herr Bürgermeister, geben Sie das Ihren Genossen mit!" Auch beim Thema S-4-Ausbau kennt sie keine Gnade mit jenen, die sich vermeintlich zu wenig engagieren, und wünscht sich, "das Puchheimer Rathaus könnte sich da noch mehr reinhängen. Sorry, SPD!"

Auch den ehemaligen US-Präsidenten Barack Obama begrüßte Schulze mit Faustschlag. (Foto: Michael Sohn/AP)

Dabei hat Sozialdemokrat Seidl den grünen Stargast des Abends zur städtischen Veranstaltung "Politik im Zelt" derart überschwänglich eingeführt, dass man sich fast um seine Zugehörigkeit zur SPD sorgen musste. Er begleite die Grünen mit "einer Grundsympathie und Verständnis", bekennt der SPD-Bürgermeister. Er sei ein Kind der Ära "Stoppt Strauß", und wenn er nicht sozialdemokratisch groß geworden wäre, hätte er sich auch Anderes vorstellen können. Grüne Politik könne wichtige, entscheidende Impulse geben: "Ihr habt in Vielem Recht gehabt", sagt er ihnen. Doch bevor es zuviel des Guten wird, nimmt er sich den jüngst geäußerten Enteignungsvorschlag des Grünen-Bundesvorsitzenden Robert Habeck vor und sagt, solche Vorschläge würden Befremden auslösen. Denn "wir müssen auch die mitnehmen, die weniger modern sind und mit anderen elementaren Dingen zu tun haben", sagt Seidl. Da ist er dann wieder ganz der SPD-Politiker.

© SZ vom 13.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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