Puchheim:Tiefer Riss

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Aus ihrem Buch "Kriegsspuren" liest Sabine Bode in der Puchheimer Auferstehungskirche. (Foto: Günther Reger)

Sabine Bodes Interpretation der "German Angst"

Von Karl-Wilhelm Götte, Puchheim

Für Sabine Bode wirkt das Trauma des Zweiten Weltkrieges immer noch nach. Es mündet in der "German Angst", wie die Kölner Autorin eines ihrer Bücher nennt. "Das nicht aufgearbeitete Trauma hat eine Tiefenwirkung in der ersten, zweiten und dritten Generation", meinte Bode bei ihrer Lesung in der evangelischen Auferstehungskirche in Puchheim. Mit den Kriegserlebnissen sei etwas geschehen, was über die menschliche Kraft gehe. Die 50 vornehmlich älteren Zuhörer fanden sich in der zentralen These Bodes durchaus wieder. Besonders das Schweigen in der Familie und in der Schule bis in die Siebzigerjahre hinein erwähnten viele Besucher in der Diskussion.

"Es wurde nicht geredet, wir haben nichts erfahren", sagte eine Besucherin, deren Vater in der Kriegsgefangenschaft gewesen war. Eine andere Zuhörerin berichtete von ihrer Großmutter, die in Posen in einem KZ umkam. "Meine Mutter hat nicht darüber gesprochen, weil sie nach dem Krieg beschimpft wurde." Man habe ihr zu verstehen gegeben, dass ihre Mutter wohl nicht unschuldig im KZ gewesen war. Eine weit verbreitete Meinung in Deutschland nach 1945. Bode ordnete diesen Beitrag als "massives Trauma" ein: "Mutter hat Mutter verloren."

Die Autorin ist eine Verfechterin einer Traumatherapie für die Menschen, die den Zweiten Weltkrieg erlebt haben, ebenso für die nachfolgenden Generationen. "Eine Traumatherapie ist keine große Sache", meinte Bode, die zum Jahrgang 1947 gehört. "Dafür heilt sie Familienbeziehungen." Ein älterer Zuhörer, war da eher skeptisch. Er berief sich auf Jesus Christus und meinte: "Wir brauchen die Wahrheit." Bode antwortete ihm, dass gerade die Therapie "hilft, die Wahrheit über sich zu erfahren." Warum sich von der Kriegsgeneration, die das Grauen direkt erlebt hat oder daran beteiligt gewesen ist, kaum jemand in eine Therapie begeben hat, beantwortete Bode mit fehlender Kenntnis der Menschen über ihren psychischen Zustand. "Man kann den Deutschen keinen Vorwurf machen, weil niemand etwas über ein Trauma wusste."

Nun erschien die erste Auflage von Bodes Buch "Kriegsspuren - die deutsche Krankheit 'German Angst'" 2006. Das war das Jahr des sogenannten deutschen Sommermärchens der Fußballweltmeisterschaft, "als erstmals wieder gute Stimmung im Lande herrschte", wie Bode zugab. Zuvor habe sich durchaus wieder Angst bei vielen Menschen im Zusammenhang mit der Agenda 2010 und den gefürchteten Absturz in die Armut ausgebreitet. Bundeskanzlerin Angela Merkel schrieb Bode zu, dass sie ab 2005 "mit ihren unaufgeregten Regierungsstil ein Wunder verbracht hat". Bode sicher: "Sie hat mit ihrer nebulösen und einlullenden Sprache die Menschen beruhigt."

Die zweite Auflage ihres Buches erschien 2015. Bode hält die Bewältigung der Kriegsfolgen für längst noch nicht erledigt. "Je älter die Menschen werden, desto mehr will das Unterdrückte an die Oberfläche", bekräftigte die Autorin. "Unbewusste Ängste sind an die Nachgeborenen weitergegeben worden", so Bode. Sie schlug auch den Bogen zur Flüchtlingskrise. Helfer hätten Angst, die Flüchtlinge falsch zu behandeln. AfD und Pegida würden Ängste gegen das Fremde schüren. Auch verbreite die soziale Ungerechtigkeit heute zusätzliche Angst. Politisch plädierte Bode für eine "starke Bürgerbewegung", die den Menschen die Angst vor dem Altwerden nehme. "Geld ist da", meinte sie, "aber nicht für die Risse in der Gesellschaft."

© SZ vom 06.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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