Puchheim:Nachbarschaftsheizung

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Heizgenossen unter sich: Martin Zeitler (von links), Jörg Strencioch und Wolfgang Schmidt im Keller des Hauses an der Bäumlstraße. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Die Genossenschaft des Kraftwerks Bäumlstraße im Norden Puchheims feiert ihr 40. Gründungsjubiläum mit einem Tag der offenen Tür. Es werden 900 Haushalte versorgt

Von Peter Bierl, Puchheim

Auf einmal standen mehr als 1000 Menschen im Norden von Puchheim ohne Heizung und Warmwasser da. Der Betreiber des Heizwerks war pleite, die Anlage stand still. Einige Bewohner der Häuser an der Bäuml- und Nordendstraße sowie am Mühlstetter Graben griffen zur Selbsthilfe. Sie schlossen sich zu einer Bürgerinitiative zusammen und loteten verschiedene Möglichkeiten aus. Schließlich gründeten einige Bewohner eine Genossenschaft und kauften das Heizkraftwerk 1975 aus der Konkursmasse für umgerechnet etwa 300 000 Euro. Heute versorgt die Genossenschaft über 900 Haushalte in Reihenhäusern und Mehrfamilienhäusern mit Wärme. Über ein Leitungsnetz von 3,5 Kilometer werden bis zu 11 000 Megawattstunden im Jahr geliefert. Am Samstag feiert die Genossenschaft ihr 40. Jubiläum mit einem Tag der offenen Tür.

Bis heute ist das Heizwerk im Keller an der Bäumlstraße 8 untergebracht. In einer Halle stehen die Wasseraufbereitung, zwei Kessel und ein Blockheizkraftwerk (BHKW), letzteres in einem metallenen Gehäuse, weil der Lärm sonst ohrenbetäubend wäre. Neben der Halle liegen die kleinen Büroräume der Genossenschaft, wo zwei Frauen Verwaltungsaufgaben und Buchhaltung erledigen. Dazu sind zwei Vorstände sind ehrenamtlich aktiv: Die kaufmännischen Aufgaben sind die Domäne von Wolfgang Schmidt, während sich Martin Zeitler um die Technik kümmert. Bis vor zwei Jahren beschäftigte die Genossenschaft noch einen Heizwart, aber eigentlich brauche man drei Mitarbeiter, um rund um die Uhr einen störungsfreien Betrieb zu garantieren , erklärt Jörg Strencioch, der Aufsichtsratsvorsitzende. Weil das viel zu teuer käme, hat die Genossenschaft diese Aufgabe an das Bayernwerk Natur outgesourct, eine Tochter von Eon. Übrig geblieben ist ein Minijobber für die Technik. Als die Genossen das Heizkraftwerk am 1. August 1975 übernahmen, stellten sie fest, dass die Anlage marode war. Das Privatunternehmen, das seit der Bebauung des Wohngebietes 1969/1970 tätig gewesen war, hatte einfach Leitungswasser verwendet, so dass die Wärmetauscher mit Kalk verstopften. Zwei Kessel explodierten. Die Leitungen waren verrostet, im Schnitt jeden zweiten Monat trat irgendwo ein Leck auf. Als erstes ersetzten die neuen Betreiber die Dampfkessel durch Niederdruckkessel und tauschten von 1978 an unter der Regie von Zeitler abschnittsweise die Fernwärmeleitungen aus.

Strencioch spricht lieber von einem "Nahwärme-Netz", denn der Umkreis ist begrenzt. Nach außen hin werden die Rohre immer dünner, so dass die Genossenschaft gar nicht expandieren kann, außer um den Preis von hohen Investitionen. So hat die Genossenschaft einen Anfrage der Stadt, ob die Schule am Gerner Platz und das Schwimmbad mitbeheizt werden könnten, damit beschieden, dass die Kommune die Leitungen bezahlen müsste.

1985 installierten die Genossenschaft und die damaligen Isar-Amperwerke zusammen ein Blockheizkraftwerk, das Wärme und Strom produziert. Diese Technik war damals neu, im Prinzip handelte es sich um einen umgebauten Lastwagenmotor, es war die erste Anlage in Oberbayern. "Wir waren damals Pioniere", meint Schmidt. Inzwischen ist der dritte Gasmotor in Betrieb. Die gesamte Anlage wird theoretisch mit Biogas betrieben, was heißt, dass das Bayernwerk die Menge Biogas in ihr Netz einspeist, die in Puchheim verbraucht wird. Das BHKW hat eine thermische Leistung von 450 Kilowatt und eine elektrische von 385 Kilowatt. Bei einem Wirkungsgrad von 80 Prozent läuft es das ganze Jahr über und liefert in den Sommermonaten heißes Wasser. Sobald das Wetter kälter wird, werden die beiden Kessel mit 1,7 Megawatt und drei Megawatt zugeschaltet. "Wir können auch Temperaturen von 30 Grad minus bewältigen", sagt Zeitler. In den Achtzigerjahren sank das Thermometer in Puchheim manchmal so tief

Am Anfang finanzierten die Genossen mit ihren Einlagen den Kauf des kleinen Kraftwerks sowie aus dem Erlös des Wärmeverkaufs die Reparaturen. Heute verfügt die Genossenschaft über ein Kapital in Höhe von rund 3,5 Millionen Euro, größtenteils in Gestalt der Anlagen. Die Genossenschaft macht im Prinzip keinen Gewinn, sondern behält nur etwas Geld als Rücklage für Reparaturen. Die rund 450 Genossen bekommen anstelle einer Dividende einen Abschlag in Höhe von zehn bis zwölf Prozent vom Preis für die Wärme.

Während die Anlage in gutem Zustand ist, wie Zeitler und Schmidt betonen, plagen die Genossenschaft Nachwuchssorgen ganz wie die meisten Vereine. Zu den Generalversammlungen kommen gerade mal 30 bis 40 Genossen. Die Mitglieder des siebenköpfigen Aufsichtsrats und die beiden Vorstände gehören der Generation 60 plus an. Es liege nicht an der Bevölkerungsstruktur des Viertels, sagt Strencioch. Es ziehen immer mehr junge Familien ein. Bloß wollen sich die Jungen nicht in der Genossenschaft engagieren. Die Ideen von Selbsthilfe und dezentraler Energieversorgung in Eigenregie scheinen nicht sehr hoch im Kurs zu stehen.

© SZ vom 31.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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