Puchheim:Im Eiltempo in Richtung Untergang

Lesezeit: 2 min

Thomas Behr leitet nicht nur das Puchheimer Pflegeheim Haus Elisabeth. Der promovierte Philosoph hat auch mehrere Bücher veröffentlicht. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Der Philosoph Thomas Behr liest aus seinem Buch über die Selbstzerstörung der Zivilisation

Von Anna Landefeld-Haamann, Puchheim

Es ist eine absurde Welt, die sich in rasantem und fatalem Tempo entwickelt. Die Märkte, das wirtschaftliche Wachstum und die Über-Technologisierung bestimmen den Menschen. Wir steuern auf ein Nichts zu, in dem Natur zur "Urlaubssilhouette" verkommt, Werte zu "antiquierten Leerformeln" - es ist eine apokalyptische Zustandsbeschreibung, die Thomas Behr, Philosoph und im Hauptberuf Leiter des Pflegeheims "Haus Elisabeth" in Puchheim, in seinem schmalen Bändchen "Sorge und Zweifel. Betrachtungen zum drohenden Absturz der Menschheit" skizziert. Er wird daraus an diesem Mittwoch im "Sprechzimmer" für Senioren in Puchheim lesen. Die Lesung findet im Rahmen der Ausstellung der Gruppe "Zeitlos" statt.

Ein Vordenker ist Behr nicht, das möchte er auch gar nicht sein. Denn apokalyptisches Denken drängt sich seit jeher immer in Krisenzeiten ins Bewusstsein, allem voran in der Offenbarung des Johannes. Zwischen den drei Essays "Letztendliches" (2015), "Betrachtungen zum Allzumenschlichen" (2010) und "Risiken und letzte Chance" (2015) streut Behr Zitate anderer Autoren von der Antike bis zur Postmoderne ein. Um diese herum spinnt er in eleganter, klarer Sprache seine Gedanken. Da ist beispielsweise der Begriff der "Drift", die bereits Hans Jonas in den Achtzigerjahren und später Peter Sloterdijks beschrieben. Für Behr ist die Drift "ohne sinnfundierten Halt" die "Wirklichkeit des modernen Menschen und der modernen Gesellschaft". Sie ist der zentrale Begriff des dritten Aufsatzes. Immer mehr beschleunige sich die Drift, bis hin zu "einer nicht mehr beherrschbaren Komplexität der Problemlagen". In einem Schema gelingt es Behr diese, wie er es nennt, "Entwicklungssystematik des Absturzes" darzustellen. Hier spielt alles mit rein - jedes Problem bedingt das andere. Der Klimawandel, der Krieg zwischen Arm und Reich, die Technologisierung, der Imperativ des Wachstums, Lebensgewohnheiten, Mobilität. All das seien keine Baukasten-, sondern globale Probleme, die unkontrollierbar werden. Zwar wolle sie der Einzelne nicht, aber sie entstünden durch das untergeordnete Zusammenwirken sozialer Gruppen. Behr schließt sich hier dem Soziologen Norbert Elias an, der dies als den typischen Prozess der Zivilisation beschreibt. Es passiert etwas, was an Absurdität kaum zu überbieten ist: Der Mensch selbst schafft die Verhältnisse, an denen er letztlich zugrunde geht. Das ist der Tribut für einen zivilisatorischen Fortschritt, der neben großer Freiheit auch Probleme mit sich bringt.

Das klingt abstrakt, doch Behr unterfüttert seine These stets mit Beispielen. So sei die globale Macht von Weltunternehmen wie Google, Facebook oder Apple für jeden spürbar. Naturkatastrophen häuften sich. Da ist aber auch der mahnende, aber durchaus umstrittene Bericht des "Club of Rome" (1972), der das Bild einer bedrohten Natur beschrieb. Behrs Urteil hierzu: "Offensichtlich keine Wirkung". Die Ergebnisse der Klimakonferenzen der vergangen Jahre sein enttäuschend "im Verhältnis der Postulate und Erwartungen". Kritisch wie streitbar ist Behrs Sicht auch auf medizinisch-pharmazeutische, lebensverlängernde Errungenschaften wie beispielsweise die Transplantation von Organ.

Doch wie den drohenden Absturz, abwenden? Behr scheint es, dass die Zeitpunkte der Umkehr bereits verpasst seien.

Thomas Behr liest Mittwoch, 27. April, von 19 Uhr an im "Sprechzimmer", Alois-Harbeck-Platz 3, aus seinem Buch "Sorge und Zweifel. Betrachtungen zum drohenden Absturz der Menschheit", Eigendruck, 49 Seiten. Gegen eine Spende von 10 Euro zu erwerben.

© SZ vom 27.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: