Puchheim:Der Rahmen für den Blick Richtung Süden

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Viele Passanten wissen mit dem Mahnmal aus Holz am Puchheimer S-Bahnhof wenig anzufangen. (Foto: Günther Reger)

Vor 25 Jahren installierte Campo Limpo am Bahnhof ein Mahnmal, das die Ausbeutung der Entwicklungsländer in Erinnerung rufen sollte

Von Peter Bierl, Puchheim

Vier Meter hoch ragt das Holztor aus den Bodenplatten an der Nordseite des Puchheimer Bahnhofs. Die meisten Passanten, die vorbeigehen, identifizieren es als Kunstwerk, jemand spricht vom Galgen. Andere halten es für einen mehr oder weniger gelungenen architektonischen Abschluss der Lochhauser Straße, in dessen Fluchtpunkt das Gebilde steht. Stimmt durchaus alles irgendwie. Der Bildhauer Hans Hämmerle hat die Skulptur geschaffen. Aufgestellt wurde sie vor 25 Jahren auf Initiative des Vereins Campo Limpo als ein Mahnmal.

Der Nord-Süd-Durchblick, so der offizielle Name, war lokaler Beitrag zu einer internationalen Kampagne gegen 500 Jahren Unterdrückung und Ausbeutung Amerikas. Mitten in Puchheim sollte an die historische Schuld Europas erinnert werden, die aktuelle Ausplünderung des globalen Südens sowie die ökologische Zerstörung sollten bewusst gemacht werden.

Die damalige Intention ließe sich an den Inschriften auf den Pfosten sowie einer bronzenen Bodenplatte ablesen. Das Projekt sorgte damals in Puchheim für ziemlichen Aufruhr, etliche Bürger protestierten dagegen. Aber Campo Limpo setzte sich durch, nicht zuletzt dank der Unterstützung des damaligen SPD-Bürgermeisters Herbert Kränzlein.

Das Mahnmal ist so ausgerichtet, dass man von Norden nach Süden schaut, erst einmal von der Lochhauser in die Allinger Straße über die trennenden Bahngleise hinweg. In der gleichen Richtung, wenngleich in weiter Ferne, liegt Brasilien, wo Campo Limpo als kleiner Verein seit rund 40 Jahren Projekte zur Selbsthilfe unterstützt.

Als die Skulptur aufgestellt wurde, protestierte Campo Limpo damit auch gegen die Herrschaft der Großgrundbesitzer in dem lateinamerikanischen Land und dagegen, dass die Bundesregierung dort den Bau von Atomkraftwerken mit Hermesbürgschaften sicherte. In den folgenden Jahren beteiligte sich Campo Limpo mit anderen Gruppen aus dem Landkreis an Kampagnen für eine Entschuldung armer Länder, etwa an der Erlassjahr-Kampagne zur Jahrtausendwende. Der Drive hielt bis etwa 2005 an, erzählt Walter Ulbrich von Campo Limpo, inzwischen seien viele Aktivisten in die Jahre gekommen.

Als Beitrag zur Bewusstseinsbildung ist das Projekt wohl gescheitert. Selbst im eigenen Verein hätten manche den ursprünglichen Kontext vergessen, so Ulbrich. Eine Umfrage auf dem Ökomarkt heuer ergab, dass die allermeisten Puchheimer gar keinen Bezug dazu haben. Viele Menschen engagieren sich in Asylhelferkreisen, was eine gute Sache sei. Aber die meisten hätten keine Vorstellung von globalen Zusammenhängen. "Das politische Bewusstsein ist eher rückläufig", glaubt Ulbrich.

Entsprechend kritisch sieht er gängige Fairtrade-Aktionen, etwa dass sich Kommunen mit dem Label schmücken. "Die Anforderungen sind zu gering", findet er. Eigentlich habe man damit auf ungerechte Strukturen im Welthandel hinweisen wollen, stattdessen sei daraus eine "Beruhigungspille" geworden. Campo Limpo dagegen versucht immer wieder, solche Zusammenhänge bewusst zu machen, etwa mit dem Projekt "Virtuelles Wasser".

In Deutschland verbraucht jeder statistisch gesehen etwa 120 Liter Wasser am Tag. Das sind etwa 20 Liter weniger als 1992, als der Nord-Süd-Durchblick installiert wurde. Und es gibt allerlei Vorschläge, die Menge weiter zu reduzieren. "Aber der tolle neue Duschkopf, der ein bisschen weniger tropft, bringt nicht viel", warnt Ulbrich. In der Ökobilanz schadet er vermutlich sogar noch, weil Energie und Rohstoffe für die Herstellung verbraucht werden. Entscheidend ist etwas anderes: Rechnerisch verbraucht jeder von uns bis zu 5000 Liter täglich, berücksichtigt man das Wasser, das für die Herstellung von Bananen, Baumwolle, Soja oder Fleisch anderswo benötigt wird. Ulbrich zitiert Schätzungen, wonach allein für jede Tasse Kaffee 120 Liter Wasser fällig werden, weil die Kaffeepflanze viel Flüssigkeit benötigt.

Solche Aktionen zeigen, dass Campo Limpo trotz alledem nicht resigniert hat. Bis heute unterstützt der Verein allerlei Projekte und organisiert im Wechsel mit Amnesty International jährlich am 10. Dezember am Nord-Süd-Durchblick einen Schweigekreis zu den Grundrechten und deren Verletzung in aller Welt. "Da verzeichnen wir einen steten Zulauf", sagt Ulbrich. Entscheidend ist für ihn immer noch ein Bewusstseinswandel. Die Leute müssten begreifen, dass der Exportweltmeister Deutschland mit seinem Modell vor allem Armut und Arbeitslosigkeit exportiere.

© SZ vom 16.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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