Puchheim:Aufruhr und Intimität

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Andrea Pancur mit bewegendem Programm im Puc

Von Jörg Konrad, Puchheim

Es gibt Sängerinnen und es gibt Sänger, die holen sich ihre musikalischen Anregungen aus der Folklore, oder aus dem Jazz, manche singen Blues, andere werden wiederum in der Klassik fündig. So klar und eindeutig ist dies bei Andrea Pancur nicht. Die Münchnerin sitzt stilistisch sozusagen zwischen den Stühlen. Was sie stimmlich präsentiert, lebt von der Freiheit des Jazz, besitzt die Bodenständigkeit der Volksmusik, die Seele des Blues und den Anspruch der Klassik. Deshalb ist die Kunst, der sie frönt, trotzdem alles andere als unverbindlicher Crossover. Denn Andrea Pancur bringt zusätzlich ihre starke Individualität mit ins Spiel und diese ist gekennzeichnet durch ihre persönliche Definition von Klezmer und eine spürbare und vermittelnde gesellschaftliche Haltung. Klezmer bedeutet für sie eine spezielle Art von Weltmusik. Denn zum einen stecken im Klezmer all die oben benannten Musikstile zumindest rudimentär und gleichzeitig ist es fast egal, wohin man auf dieser Welt reist: Es sollte niemanden wundern, wenn hier nicht eine Musik zu hören ist, die zumindest ganz entfernt an Klezmer erinnert. Nun war Andrea Pancur Gast der Reihe "Jazz Around The World". Und genau hierhin gehört die Musik, die die Sängerin mit Ira Shiran an Akkordeon und Klavier präsentierte.

Im Grunde bezog sich ihr Programm zu großen Teilen auf ihr Album "Weihnukka" (GLM), das schon vor zwei Jahren erschien. Aber die pandemische Ausnahmesituation, von der alle Bereiche des Lebens hart betroffen sind, schränkten die Live-Vorstellung des Albums erheblich ein. Um so größer die Freude nach eigenen Angaben für sie, im Puchheimer Kulturzentrum endlich wieder auftreten zu können.

Es wurde ein friedlicher, ein besinnlicher, aber auch ein kämpferischer und anspruchsvoller musikalischer "Weihnukka"-Abend. Hinter dieser Wortschöpfung aus dem 19. Jahrhundert steht der Zusammenschluss von zwei Festlichkeiten, die es in dieser Gemeinsamkeit eigentlich nicht gibt. Auf der einen Seite steht das Chanukka (das Lichterfest, das der Befreiung des jüdischen Volkes aus fremder Herrschaft vor mehr als zweitausend Jahren gedenkt) und auf der anderen Seite das Weihnachtsfest, das heute in der christlich geprägten westlichen Kultur symbolisch für ein friedliches Miteinander auf dieser Welt steht. Dafür greift Pancur in sehr intimem Rahmen auf jiddische, auf weihnachtliche, ja auch auf leidenschaftlich entschlossene Lieder zurück.

Ihr geht es in allem um eine Verbundenheit der Menschheit, wobei sie nicht müde wird, ihren Optimismus zu vermitteln, der ein wichtiger Teil ihres Charakters ist. Ihr stimmliches Format passt wunderbar zu den Kompositionen, vermittelt immer ein Spektrum von Aufruhr und Intimität, von Entschlossenheit und Poesie, von Volkstümlichem und Revolutionärem. Es sind Dinge, die, wenn man sie recht betrachtet, schon immer nah beieinander stehen. Schon ihr Eingangsgedicht "Heilige Nacht" von Erich Mühsam macht diese schöpferische Verbindung von scheinbar Gegensätzlichem deutlich.

An Andrea Pancurs Seite saß mit Ira Shiran ein Pianist und vor allem Akkordeonspieler, der den gesungenen Liedern eine instrumentale Schlichtheit mit auf den Weg gab, die noch einmal das Vertrautsein miteinander und gleichzeitig den musikalischen Anspruch unterstrichen. Die liedhaften Geschichten bekamen durch ihn eine zusätzliche stille Lebendigkeit, eine Art induktive Energie, die den Liedern außerordentlich gut tat. Man könnte auch sagen: Zwei zuversichtliche Geschichtenerzähler unter sich - plus einem froh gestimmten Publikum.

© SZ vom 23.12.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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