Puchheim:Arbeitsameisen und Roboter

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"Wollen wir das?", fragt die Referentin Nora Hangel. (Foto: Matthias F. Döring)

Beim Empfang der Puchheimer SPD geht es um das Thema Pflege

Von Karl-Wilhelm Götte, Puchheim

Eine Heimbewohnerin hält auf einem Plakat eine weiße Robbe im Arm. "Paro", so ihr Name, ist ein Pflegeroboter, der Emotionen simulieren soll. Die Puchheimer SPD hatte bei ihrem Neujahrsempfang das Thema Pflege verdienstvoll auf die Tagesordnung gesetzt, 70 Besucher folgten der Einladung in die Grundschule Süd. Nach einem eher akademischen Vortrag der gelernten Philosophin und Kulturwissenschaftlerin Nora Hangel, die die technischen und ethischen Probleme, aber auch die schwierigen Arbeitsbedingungen im Pflegebetrieb herausarbeitete, platzte einem Besucher in der anschließenden Diskussion der Kragen.

"Das doppelte Gehalt gezahlt, staatlich verordnet, - und die Sache wäre erledigt", rief der Mann dazwischen. Dass das nicht so einfach ist, hatte Wissenschaftlerin Nora Hangel in ihrer Feldstudie mit Pflegeschülern eruiert. Sie arbeitet an der TU München und beschäftigt sich mit der Geschichte und Ethik der Medizin. "Die Pflegenden haben kein Sprachrohr", teilte Hangel mit, "sie fühlen sich als Arbeitsameisen." Die fehlende gewerkschaftliche Orientierung liege auch daran, dass das Pflegepersonal von Menschen mit Migrationshintergrund geprägt sei. Dominik Dirnberger, der für die SPD für den Stadtrat kandidiert, konnte das bestätigen: "Helfende Berufe sind zu wenig aktiv für sich selber."

3,9 Millionen Menschen wurden 2018 in Deutschland gepflegt. Allein die finanziellen Leistungen der öffentlichen und privaten Pflegekassen betrugen 28,3 Milliarden Euro, wie SPD-Stadträtin und Diskussionsleiterin Petra Weber mitteilte. "Wo geht das Geld hin?", fragte eine Besucherin, die zu Hause einen Pflegefall betreut und die hohen Rechnungen sieht. "Alles ist sehr, sehr teuer und wird minutenweise abgerechnet", sagte sie und vermutete, dass das Geld nicht an das Personal gehe.

Der Batterieroboter "Paro" kann auf Emotionen antworten. Er wendet sich ab, wenn der Mensch ihn nicht beachtet. Streichelt er die Robbe, wendet sie sich ihm wieder zu. Doch die Betroffenen werden getäuscht. "Wollen wir das?", fragte Hangel in die Runde. "So eine Technik ist unmenschlich", murmelte eine ältere Dame, "da bleibe ich am besten zu Hause". Auch die Überwachung von dementen Personen mit Weglauftendenz per GPS-Tracking ist umstritten. "Es ist beliebt beim Pflegepersonal und Angehörigen", so die Erfahrungen von Hangel. Es sei natürlich auch Überwachung. Auch hier wieder die Frage: "Wollen wir das?" Ähnliches gelte für das sogenannte Telemonitoring 4.0, das eine Wohnung umfassend mit Sensoren ausstattet, um die Bewegungen der zu pflegenden Person zu überwachen.

"Pflege ist Beziehung", brachte es die erfahrende Sozialarbeiterin Petra Weber auf den Punkt. So äußerten sich auch die von Hangel befragten Pflegeschülerinnen in Augsburg. "Die Bewohner wollen Liebe, Umarmungen und Wärme", meinte eine Schülerin. Sie kritisierte die ständige personelle Unterbesetzung der Einrichtung und die Arbeitsbedingungen. "Ich muss sehr schwere Männer aus dem Bett heben", meinte die zierliche junge Frau. Alles zusammen ergibt laut Hangel, "dass zu pflegende Menschen und die Pfleger in einer getrennten Welt sich befinden". Abhilfe? "Bei Pflegefragen Pfleger fragen", riefen die Pflegeschülerinnen nach ihren Interviews ihren Slogan. Puchheims SPD-Bürgermeister Norbert Seidl betrachtete dann auch in seinem Grußwort die Pflege als klassisches SPD-Thema und kritisierte Zeitarbeit und die prekären Arbeitsverhältnisse auf diesem Sektor: "Das kann es nicht sein."

© SZ vom 27.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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