Publikation:Abstruses Nachtreten

Lesezeit: 3 min

Die alte Schule in Puchheim: Sie sei architektonisches "Kauderwelsch", sagt der ehemalige Archivar Werner Dreher. (Foto: Johannes Simon)

In einer vom Stadtarchiv herausgegebenen Broschüre über die alte Schule in Puchheim wird die Bürgerinitiative attackiert, die für den Erhalt des Gebäudes eingetreten ist. Die Recherchen bleiben jedoch dürftig

Von Peter Bierl, Puchheim

Es ist schon ein paar Jahre her, dass aus der Puchheimer SPD der Vorschlag kam, die NS-Vergangenheit des Ortes aufarbeiten zu lassen. Die Aufgabe an externe Wissenschaftler zu vergeben wie Fürstenfeldbruck es getan hatte, erschien dem damaligen SPD-Bürgermeister aber zu teuer. Stattdessen darf das Stadtarchiv im Nebel stochern. Das Ergebnis ist in einer aktuellen Broschüre zur alten Schule zu begutachten.

Das Gebäude am Grünen Markt war vor gut einem Jahrzehnt ein Zankapfel, als CSU und SPD einen Abriss zugunsten eines neuen Rathauses favorisierten. Es hagelte Proteste, eine Bürgerinitiative "Freunde der alten Schule" formierte sich, der man zutraute, bei einem Bürgerentscheid eine Mehrheit zu mobilisieren. Die Mehrheit im Rathaus rückte von den Plänen ab, die alte Schule soll saniert und als öffentliches Gebäude in das neue Ortszentrum einbezogen werden. Vorläufig ist dort eine Kindertagesstätte eingezogen.

Vor einigen Wochen publizierte das Stadtarchiv nun ein Werk zur Geschichte des Hauses mit Attacken auf die Bürgerinitiative. Ihrem Sprecher, dem Historiker Johannes Haslauer, wird Lokalpatriotismus unterstellt. Das im Heimatstil errichtete Gebäude sei baukulturell fragwürdig und ein architektonisches "Kauderwelsch", urteilt der Autor Werner Dreher, Journalist, ehemaliger Archivar und Pressesprecher der Stadt Puchheim. Als gelungenes Beispiel für den Heimatstil präsentiert Dreher stattdessen die Schule in Dießen, die der Brucker Architekt Adolf Voll vor dem Ersten Weltkrieg plante. Die Broschüre soll "ein Gegengewicht" zu Haslauers Position sein, erklärte Dreher der SZ. Sie sollte eigentlich vor einem Vortrag Haslauers zur alten Schule erscheinen, was wegen Überlastung nicht zu schaffen gewesen sei.

Er freue sich über eine Debatte, auch wenn sie ein "bisschen kontrovers" sei, sagte Haslauer zu der Broschüre. Den Vorwurf des Lokalpatriotismus oder der schwärmerischen Darstellung kann er nicht nachvollziehen. Den Vergleich mit der Dießener Schule findet er gewagt. "Da liegen 25 Jahre dazwischen, der Heimatstil hatte sich inzwischen zum Heimatschutzstil entwickelt", sagt Haslauer. Dass es sich in Puchheim um stilistischen Mischmasch handelt, sei schon richtig, aber "Reinheit des Stils" schon längst kein architekturgeschichtliches Kriterium mehr.

Schließlich suggeriert Dreher, bei der alten Schule, die 1929 errichtet wurde, handele sich um einen Nazibau, weil der Architekt Josef Steindl ein Nazi war. Dessen Kollege Voll wird indes zur Lichtgestalt, die sich der NSDAP verweigerte und trotzdem private Aufträge vom Brucker Nazibürgermeister bekam. Richtig ist, dass Voll, der den Brucker Schlachthof, die Marthabräuhalle und das Lichtspielhaus plante, zu den wenigen Honoratioren in Bruck gehörte, die sich nicht der NSDAP anschlossen. Steindl hingegen wurde 1933 Mitglied der NSDAP, fungierte als Ortsgruppenleiter und wurde 1937 als Bürgermeister eingesetzt. Das sind aber keine neuen Erkenntnisse von Dreher. In Puchheim hatte Haslauer darauf bereits in der Debatte um Abriss oder Erhalt hingewiesen. Schon zuvor war der Werdegang Steindls in Beiträgen über die Entnazifizierung in der Süddeutschen Zeitung sowie in der Zeitschrift Amperland abgehandelt worden.

Noch schräger wird der Versuch, das Schulhaus in die braune Ecke zu stellen, wenn Dreher, gestützt auf Haslauer, Steindls Heimatstil der Lebensreform zurechnet, dagegen bei Voll einen "modernen Architekturstil" rühmt, den er der Gartenstadtbewegung zuschreibt. Die Gartenstadt war Teil der Lebensreformbewegung, ihre Anfänge in Deutschland gehen auf Theodor Fritsch (1852-1933) zurück, dessen "Antisemiten-Katechismus" eine Bibel der Nazis war. In der deutschen Gartenstadtgesellschaft kooperierten liberale Sozialreformer mit völkischen Rassenhygienikern. Haslauer nimmt den Nazivergleich gelassen: "Sympathie oder Antipathie für eine Person ist kein Kriterium für den Wert eines Gebäudes." Er behaupte auch nicht, dass der Puchheimer Bau bayernweite Bedeutung habe. "Es geht um das individuelle Zeugnis eines örtlichen Architekten für einen ganz bestimmten Ort", so Haslauer.

Die große Schwäche der kleinen Broschüre, die sich quantitativ stark mit der NS-Zeit beschäftigt, ist, dass Dreher nur Unterlagen aus dem Stadtarchiv ausgewertet hat. Dort ist aber wenig zu finden, weil die Nazis die Unterlagen vernichteten, als die Amerikaner anrückten. Ziemlich dürftig sind in der Broschüre die Angaben über das NS-Engagement Steindls sowie des Oberlehrers Anton Stieß, der im Schulhaus regierte. Letzterer sei 1945 "außer Dienst gestellt" worden, schreibt Dreher lapidar. Ob Stieß sich einem Entnazifizierungsverfahren stellen musste, gehe aus den Akten nicht hervor.

Solche Defizite hätten sich leicht beheben lassen. Ein paar Kilometer Luftlinie entfernt im Bayerischen Staatsarchiv lagert genug Material. Laut Entnazifizierungsakte lebte Stieß seit 1930 in Puchheim und trat im Frühjahr 1933 der NSDAP bei. Er gehörte außerdem Neben- und Vorfeldorganisationen wie dem NS-Lehrerbund, dem Reichskolonialbund oder dem Verein für das Deutschtum im Ausland (VDA) an. Im Entnazifizierungsverfahren machte er geltend, nur aus Angst um die Familie und seinen Job beigetreten zu sein. Wie Bürgermeister Steindl legte Stieß ganz viele Persilscheine vor und beide wurden als Mitläufer entlassen. Steindl musste allerdings noch mal vor die Spruchkammer, weil Vorwürfe aufkamen, er habe Leute denunziert. Die Hauptkammer in München stellte das Verfahren 1950 ein mit dem Hinweis, Steindl habe stets "mustergültig" gearbeitet - als NS-Bürgermeister.

"Ich recherchiere nicht im Staatsarchiv, das ist nicht mein Aufgabenbereich", erklärte Dreher dazu der SZ. Vielleicht ist die Stadt so geizig, dass der Aufwand nicht lohnt. Sicher ist, dass mit der Einstellung die Aufarbeitung der NS-Zeit in Puchheim entweder noch geraume Zeit auf sich warten lassen wird oder zu dem beruhigenden Ergebnis führt, dass nach Aktenlage eigentlich nichts passiert ist.

Stadtarchiv Puchheim, Hrsg.: Die Alte Schule von Puchheim-Bahnhof. Bau- und Entwicklungsgeschichte des ersten Schulhauses im Zentrum des Ortsteils und der Stadt, 2017

© SZ vom 04.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: