Polizei im Nationalsozialismus:Vom Schutzmann zum Massenmörder

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In Fürstenfeldbruck werden während der NS-Zeit nicht nur Offizierschüler für die Luftwaffe ausgebildet. Aus der Polizeischule kommen Führungskräfte, die an Deportationen und Gräueltaten in besetzten Gebieten beteiligt sind. Davon berichtet der Gröbenzeller Historiker Sven Deppisch in der VHS

Von Peter Bierl, Fürstenfeldbruck

Die Polizei als "Freund und Helfer" ist ein geflügeltes Sprichwort aus der Zeit der Weimarer Republik. Dahinter steckt gezielte Imagewerbung. Auch die Leitung der Polizeischule in Fürstenfeld mühte sich während der NS-Herrschaft in diesem Sinn. So boten Personal und Offizierschüler noch im Kriegsjahr 1943 ein Kinderreiten auf dem Viehmarktplatz an. Allerdings war das Verhältnis zwischen Polizeischülern und Bürgern nicht konfliktfrei, wie Sven Deppisch in einer Veranstaltung der Brucker Volkshochschule berichtete, zu der mehr als 40 Zuhörer gekommen waren. Der Gröbenzeller Historiker hat eine umfangreiche Studie über die Polizeischule veröffentlicht und nachgewiesen, dass diese ein "zentraler Täterort" des Faschismus war. Seine Arbeit hat den Brucker Maler Guido Zingerl zu einem Werk inspiriert, das die Geschichte allegorisch auf den Punkt bringt, vom Lehrerpult über das Erschießungskommando bis zum Stammtisch. Zingerl präsentierte die Schwarz-Weiß-Zeichnung mit den Worten, die präzise Recherche Deppischs habe ihn beeindruckt und das Ergebnis traurig gemacht, darum habe er zur Feder gegriffen.

1924 zog die bayerische Polizeischule in die Gebäude des ehemaligen Klosters ein. Im Mai 1937 wertete Heinrich Himmler als Reichsführer von SS und Polizei die Einrichtung zur "Polizei-Offizier- und Schutzpolizeischule Fürstenfeldbruck" auf. Sie sollte den Führungsnachwuchs für eine Ordnungspolizei ausbilden, die als "Ersatzarmee" vorgesehen war, wie der Historiker erklärte. Anfangs stand die Brucker Schule im Schatten der Einrichtung in Berlin-Köpenick, die aber während des Krieges an Bedeutung verlor, weil sie wegen der Luftangriffe mehrfach verlegt werden musste. So avancierte die Polizeischule im prächtigen Barockbau von Fürstenfeld zur wichtigsten Ausbildungsstätte. Der Schwerpunkt lag in einem paramilitärischen Training für Einsätze im Ausland in Vorbereitung auf den Angriffskrieg. Deppisch hat bei seinen Recherchen eine Kontinuität in der Ausbildung und Ausrichtung der Polizeioffiziere festgestellt, die von der Weimarer Republik bis in die frühe Bundesrepublik reicht. "Die Bekämpfung von Aufständen war im Vordergrund, der Feind stand immer links", sagte Deppisch.

So waren Polizeioffiziere aus Fürstenfeld beteiligt an der Ermordung der jüdischen Bevölkerung etwa in Babij Jar sowie der Niederschlagung des Warschauer Aufstandes. Unter dem Kommando von Offizieren aus Bruck plünderten und brannten Polizisten ganze Dörfer nieder, erschossen massenweise Zivilisten und deportierten Juden nach Auschwitz und Treblinka. Ein Reservebataillon unterhielt in Warschau eine eigene Kneipe und führte eine Strichliste über die Zahl der erschossenen Juden. Einer der schaurigsten Fälle handelt von Ordnungshütern, die zum Amüsement im besetzten Polen zwei junge Mädchen auf einem Polizeirevier zu sexuellen Handlungen mit Hunden zwangen und anschließend erschossen.

Zu Hause suchte die "Kaderschmiede für Judenmörder", so Deppisch, sich in bestem Licht zu präsentieren. Jedes Jahr am "Tag der deutschen Polizei" zeigten sich Lehrer und Schüler bürgernah und kinderlieb. Neben Aufmärschen in Reih und Glied organisierten die Polizisten Kasperltheater oder Sackhüpfen. Außerdem wurden Polizeischüler als Erntehelfer eingesetzt, beteiligten sich an sportlichen Wettkämpfen und sammelten für das Winterhilfswerk, erzählte Deppisch. Allerdings gab es auch allerlei Ärger. Polizeischüler verübten Streiche und Diebstähle, randalierten in Kneipen, misshandelten und verprügelten Einwohner. Ein älterer Mann erlag dabei seinen Verletzungen. Für Abscheu sorgten antiklerikal motivierte Akte des Vandalismus. So pinkelten Polizisten gezielt in Kircheneingänge, schmierten ein Hakenkreuz auf einen Altar, und eine Gruppe nahm in der Postwirtschaft ein Kruzifix von der Wand und steckte es in der Küche in den Ofen, erzählte Deppisch.

Selbst das Verhältnis zu anderen NS-Stellen oder der Wehrmacht war mitunter getrübt. So stritt der Leiter der Polizeischule mit dem Kommandeur des Fliegerhorsts um einen Exerzierplatz in der Hasenheide und NS-Kreisleiter Franz Emmer schmähte in der Klosterwirtschaft gegenüber der Wirtin die "grünen aufgeblähten Kerle", die "nichts zu fressen brauchen". Das war 1944 zu einem Zeitpunkt, an dem selbst in der für das Regime wichtigen Polizeischule sich der Mangel an Papier, Kohlen und Toilettenpapier bemerkbar machte.

Auf jeden Fall stellte die Polizeischule einen wichtigen Faktor in der Kleinstadt dar. Der Historiker geht davon aus, dass Bruck seine Stadterhebung anno 1935 der Existenz der Polizeischule mit verdankt, weil eine höhere Bildungsstätte Voraussetzung für den Titel war. In der Einrichtung konnten bis zu 600 Mann untergebracht und unterrichtet werden. Viele Lehrer und ihre Familien wohnten im Zentrum des Ortes. Rechnet man etwa 1200 Soldaten vom Fliegerhorst dazu, kann man nachvollziehen, wie stark Bruck mit etwa 8000 Einwohnern vor dem Zweiten Weltkrieg, von Uniformierten dominiert war. Wie die Soldaten brachten auch die Polizisten Kaufkraft an den Ort. Die Einrichtungen sorgten für Aufträge an lokale Handwerker, zivile Arbeitsplätze und Steuereinnahmen. "Es waren zwei Kaderschmieden, von denen der Ort profitierte", bilanzierte Deppisch.

Ähnlich wie im Fall der Wehrmacht pflegten die Deutschen bei der Polizei die Legende, sie sei während der NS-Zeit "sauber" geblieben. Die meisten Polizeioffiziere traten der NSDAP oder der SS bei, wobei niemand gezwungen wurde oder gegen sein Wissen als Mitglied geführt wurde, wie Deppisch betonte. Kein einziger Täter aus den Reihen der Polizei wurde angemessen bestraft, die meisten konnten ihre Karriere fortsetzen. Als Paradebeispiel führt der Historiker Hans Hösl an: Er war Lehrer in Bruck und später Kommandeur eines Bataillons, das an Massakern in Slowenien und Griechenland beteiligt war. 1948 wurde er Chef im Ausbildungswesen der bayerischen Grenzpolizei, 1953 übernahm Hösl die Ausbildung in der Brucker Schule. In Griechenland und Deutschland ermittelten zwar Staatsanwälte gegen ihn, aber das Verfahren in München wurde mangels Beweisen 1960 eingestellt. 1987 starb Hösl friedlich in Bruck und wurde in Nachrufen als Mitglied der Münchner Turmschreiber gewürdigt, der mit seinen Stücken den Poetentaler gewonnen hatte.

Sven Deppisch, Täter auf der Schulbank. Die Offiziersausbildung der Ordnungspolizei und der Holocaust, Tectum-Verlag 2017, 672 Seiten, 39,95 Euro

© SZ vom 03.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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