Politischer Aschermittwoch der CSU:Klösterliche Ordnung

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"Europa muss sich auf der Basis unterschiedlicher Kulturen erneuern", sagt Notker Wolf. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Ehemaliger Abtprimas Notker Wolf spricht beim CSU-Fischessen über Zukunft Europas

Von Erich C. Setzwein, Eichenau

Auf der Bühne der Friesenhalle spielt das Orchester des Musikvereins Eichenau, und statt des Medleys mit "Kriminal-Tango hätte an diesem Aschermittwochabend auch "Highway To Hell" ganz gut zum Ehrengast gepasst. Den Ac/Dc-Klassiker hat Notker Wolf schon als Erzabt von Sankt Ottilien zusammen mit der damaligen Schulband schon oft gespielt. Doch an diesem Mittwoch hat der ehemalige Abtprimas der Benediktiner nicht seine E-Gitarre mitgebracht. An diesem Abend in Eichenau beim Fischessen des CSU-Ortsverbandes packt er in einer Rede seine Gedanken über den Zustand und die Zukunft Europas aus. Und es sind die leisen Töne und Zwischentöne, die seine mehr als 140 Zuhörer vernehmen und nicht Heavy Metal, das man von diesem Benediktiner auch gewöhnt ist.

Notker Wolf versucht vor seinem Publikum erst gar nicht, die politische Gemengelage in Europa aufzudröseln. Daran arbeiten sich Politikwissenschaftler ab. Worum es dem 78-Jährigen geht, sind die verschiedenen Kulturen, die unterschiedlichen Mentalitäten in den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union. Er kann das auch deshalb im Vergleich zu außereuropäischen Staaten charakterisieren, weil er in seiner Zeit am Abtprimas, als weltweiter "Chef ohne Rechte" der Benediktiner, wie er sein ehemaliges Amt bezeichnet, in allen Ländern war, in denen die Benediktiner Klöster haben. Für ihn gibt es nichts Wichtigeres, als die Vielfalt der Kulturen - in der Welt, in Europa, in Bayern. Und alle diese Kulturen könnten seit vielen Jahrzehnten in Frieden leben, sie hätten die Kraft, Europa zu erneuern, sagt Wolf.

So wie die Benediktiner kein Orden seien, der vom Vatikan aus kontrolliert wird, keine Frau und kein Mann in einen "Benediktiner-Orden" eintreten könnten, sondern nur in ein Kloster der Benediktiner, so unordentlich seie Europa derzeit. Es fehle ein gemeinsames Denken und Handeln, so etwas wie die Regel Benedikts. Notker Wolf lobt die Initiative des französischen Präsidenten Emmanuel Macron ("Gut, dass er eine Vision hat."), doch seien jetzt postulierte Werte Freiheit, Sicherheit und Fortschritt "nicht so an den Menschen gekoppelt wie die in der französischen Revolution erkämpften Gleichheit und Solidarität".

Notker Wolf beklagt, dass bei vielen Äußerungen und Einschätzung - öffentlich wie privat - oft der gesunde Menschenverstand fehle, "das rechte Maß", wie es Benedikt genannt habe. Die Ansprüche, die die Menschen stellten, seien zu groß, weil es ihnen zu gut gehe. Die Errungenschaften des vereinten Europas würden nicht mehr geschätzt. Wolf warnte davor, die Einflüsse von außen wie von innen zu unterschätzen. China sei dabei, mit langem Atem mehr Macht in der Welt zu erlangen. In dem Land, das er oft bereist habe, herrschten Planwirtschaft und totale Überwachung. "Den Mensch total unter Kontrolle zu haben, das ist das Ziel Chinas." Ganz unverhohlen kritisiere die chinesische Regierung die Demokratien Europas. Die um sich greifende Verunsicherung und der langsame Vertrauensverlust werde durch die Anstrengungen von Steve Bannon, dem Ex-Sprecher von US-Präsident Donald Trump, von seinem neuen Hauptquartier in Brüssel aus die nationalistischen Strömungen zu koordinieren und zu vereinen, nur noch verstärkt. Nur Mitleid hat Wolf für den Anspruch Bannons übrig, der das christliche Abendland retten wolle.

Europa aber sei mehr, als offene Grenzen und eine Währung, ist sich Notker Wolf sicher. "Alles zu hinterfragen, ob das Bestand hat, die Errungenschaft der Aufklärung, das macht Europa aus." Für ihn ist klar, dass die Europäer ihre Werte verteidigen und ihren Zusammenhalt stärken müssen. Das funktioniert seiner Meinung nach nur dann, wenn alle Länder ihre kulturelle Vielfalt bewahren und viel mehr Toleranz zeigen.

© SZ vom 08.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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