Olching:Simuliertes Schreckensszenario im Nadelöhr

Lesezeit: 3 min

An einer großen Übung der Rettungskräfte im Landkreis beteiligen sich mehr als 300 Freiwillige. Geprobt wird der Brand in einer S-Bahn. Besonders schwierig wird die Rettung der Fahrgäste durch die Örtlichkeit: zur Unfallstelle gibt es nur zwei einspurige Zufahrten

Von Ariane Lindenbach, Olching

Ein Körper liegt leblos im Gleisbett neben einer stehenden S-Bahn. In der Dunkelheit fällt erst auf den zweiten Blick auf, dass senkrecht aus seinem Brustkorb ein Stock ragt. Zwei weitere Personen liegen ein paar Meter die Böschung hinab, eine davon schreit. Im nächtlichen Dauerregen leuchtet regelmäßig das Blaulicht der Rettungsfahrzeuge auf, die eines nach dem anderen an der Unfallstelle nahe des S-Bahnhofs Esting eintreffen. Oben im Gleisbett erscheinen immer mehr Feuerwehrleute. An einer Zugtür weiter vorne haben die Rettungskräfte bereits einen provisorischen Zugang aufgebaut und führen die ersten Fahrgäste ins Freie. Es ist die Nacht auf Sonntag, gegen drei Uhr. Eine S-Bahn, aus Mammendorf kommend, mit etwa hundert Fahrgästen an Bord ist wegen eines technischen Defekts in Brand geraten, im hinteren Zugteil entwickelt sich viel Rauch. Ein Fahrgast hat die Notbremse gezogen und einen Notruf abgesetzt. Bis die Rettungskräfte tatsächlich am Zug tätig werden können, haben ihn bereits die ersten Fahrgäste eigenmächtig verlassen. Dabei haben sich die meisten schwer verletzt, weil sie beim Aussteigen ein Stück in die Tiefe gestürzt sind.

Glücklicherweise ist dieses Szenario nur das Drehbuch einer Großschadensübung der Freiwilligen Feuerwehren und Rettungskräfte. Insgesamt sind in dieser Nacht rund 300 Übungsteilnehmer auf den Beinen - vom sogenannten Örtlichen Einsatzleiter, der alle Helfergruppen koordinieren muss, über die Darsteller, die die Verletzten mimen, bis hin zu den Mitgliedern des THW Aichach-Friedberg, die im Feuerwehrgerätehaus in Esting vom frühen Morgen an mit einem Frühstück auf die Teilnehmer warten.

Rückblick: Um 0.55 Uhr herrscht vor der Freiwilligen Feuerwehr in Esting reger Betrieb. Die blauen Fahrzeuge vom Technischen Hilfswerk parken bereits eins hinter dem anderen entlang der Schlossstraße, gegenüber auf dem Parkplatz der Grundschule Esting rangieren zwei Transporter des BRK, um noch in die letzten Lücken zu passen. Vor dem Feuerwehrgerätehaus stehen ein paar Rettungskräfte in kleinen Gruppen und rauchen. Drinnen - die Halle ist mit Biertischgarnituren ausgestattet - sieht man ein Meer von Köpfen, dazu die Farben Blau, Grellorange und Neongelb.

"Allgemein Vorsicht auf dem Bahngelände", weist Kreisbrandrat Hubert Stefan die Anwesenden auf die besonderen Gefahren bei diesem Einsatz hin. Die Unfallstelle erschwere die Hilfe besonders, da die Bahnlinie nur von Süden her zugänglich ist (im Norden verläuft, abgetrennt durch eine Lärmschutzwand die Hochgeschwindigkeitstrasse). Eine zweite Schwierigkeit bestehe darin, dass der Unfallort auf Höhe des Sportvereins Esting nur über den Grasweg und den Jägersteig, im Grunde zwei einspurige Radwege, zu erreichen ist. Wenn die Rettungsfahrzeuge erst einmal hinein gefahren sind, stecken sie praktisch fest, erläutert Ric Unteutsch von der Feuerwehr Gernlinden, der an diesem Abend die Fragen der Presse beantwortet. Von dieser zweiten Schwierigkeit wissen die Rettungskräfte übrigens noch nichts. Da man die Übung möglichst realitätsnah gestalten wollte, ist die genaue Unfallstelle noch geheim. Deswegen fahren die Rettungskräfte nach der Sicherheitseinweisung auch alle wieder zu ihren jeweiligen Standorten zurück. Bei einem echten Notfall wären sie auch nicht alle zur gleichen Zeit vor Ort.

Mittlerweile ist es nach drei Uhr. Erst relativ spät haben die Rettungskräfte bemerkt, dass es im hinteren Zugteil brennt und einige Menschen verletzt im Gleisbett und der in Böschung liegen. Das mag zu einem Teil daran liegen, dass der zeitliche Ablauf nicht nach Plan erfolgte und die Pyrotechnik zur Simulation des Brandes schon verbraucht war, als die ersten Helfer vor Ort waren. Das mache aber nichts, betont Unteutsch. Denn genau deshalb simuliert man ja solche Übungen: um aus dort gemachten Fehlern zu lernen. Und natürlich auch, um im Ernstfall schon ein kleines bisschen Routine zu haben.

So eine nächtliche Übung mit Zug an einer Bahnlinie ist etwas Besonders. "Ich habe so eine Übung noch nicht erlebt", sagt Unteutsch, der im Vorjahr sein Amt als Kommandant nach zehn Jahren aufgegeben hat. Die Feuerwehrleute rollen inzwischen Schläuche entlang der S-Bahn zum hinteren Zugteil aus. An der steilen Böschung lehnen einige Leitern. Über sie gelangen die Fahrgäste auf den etwa zehn Meter tiefer liegenden Radweg, manche sind unverletzt und können alleine hinunterklettern, andere werden - eingepackt in glänzende Folie gegen Kälte und Nässe - auf speziellen Tragen hinabgelassen.

An der Kreuzung von Jägersteig und Grasweg werden die Verletzten von den Sanitätern in Empfang genommen und notversorgt. Die Helfer schätzen die Schwere ihrer Verletzungen ein und machen das Ergebnis auf einer mit Plastikhülle geschützten Karte sichtbar: Auf ihr steht der Name des Verletzten, der breite Farbstreifen unten informiert über den Zustand. Rot steht für schwer verletzt, blau für nicht mehr zu helfen und schwarz für tot, die letzten beiden Farben kommen an diesem Abend zum Glück nicht zum Einsatz.

Für die gar nicht bis leicht Verletzten haben die Helfer am Vereinsheim des SV Esting eine Sammelstelle eingerichtet. Da das Zelt nach mehr als 30 Minuten immer noch nicht steht, werden die Darsteller wütend und laut. Eben so, wie es bei einem echten Einsatz auch sein könnte, unterstreicht Unteutsch. Für die Übung werden die Darsteller übrigens gemäß Drehbuch genau instruiert. Vorne auf der Schlossstraße parken etliche Sanitätstransporter, auf der anderen Straßenseite bilden drei u-förmig geparkte Feuerwehrfahrzeuge das Lager der Einsatzleitung, bewusst abseits von den schrecklichen Bildern direkt am Unfallort.

Gegen vier Uhr muss das Gleisbett geräumt werden, da der Bahnbetrieb bald wieder anfängt. Die Sanitäter versorgen noch etliche Verletzte bis gegen fünf Uhr alle wieder im Feuerwehrgerätehaus sind.

© SZ vom 07.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: