Olching:Neue Heimat

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Blick zurück, aber auch nach vorn (von links): Die Geistlichen Simone Oppel und Josef Steindlmüller, Bürgermeister Andreas Magg sowie Susanne Pollak. (Foto: Günther Reger)

Am Ehrenmal des Alten Friedhofs gedenken die Vertriebenen ihrer verstorbenen Landsleute. Und Werner Mai erinnert sich an die Kindheit in Königsberg

Von Stefan Salger, Olching

Heimat: Der Begriff hat bei Politikern Hochkonjunktur. Was aber bedeutet Heimat für Werner Mai? Der 80-Jährige steht am Sonntag auf dem Alten Friedhof Olching und rückt die schwarz-weiße Schärpe zurecht. Die Frage kennt er natürlich. Denn Mais eigentliche Heimat liegt ja drüben in den ehemaligen Ostgebieten und war jahrzehntelang so etwas wie verbotenes Land. Sieben Jahre war er alt, als er das ostpreußische Königsberg, das seither Kaliningrad heißt, verlassen musste. "Heimat? Ich war doch ein Kind, als wir vertrieben wurden. Ich kann mich ja kaum noch daran erinnern." Dabei lächelt Werner Mai. Bitterkeit verspürt er nicht. Denn längst hat er eine neue Heimat gefunden: in Malching in der Gemeinde Maisach.

Gemeinsam mit zwei Kameraden der Landsmannschaft Ordensland und den drei Freunden von der Sudetendeutschen Landsmannschaft steht er am offiziellen Tag der Heimat am Ehrenmal, das an die verstorbenen Landsleute und die verlorene Heimat erinnert. Gut 20 Besucher sind gekommen. Es wird deutlich, dass die Zeitzeugen immer weniger werden. 73 Jahre liegt die Vertreibung der Deutschen zurück. Früher strömten am Tag der Heimat Hunderte in große Hallen. Von Jahr zu Jahr aber wird das weniger, die Demografie ist unerbittlich.

Und doch erheben drei "Nachgeborene" bei der Gedenkstunde ihre Stimme und bekennen sich dazu, zum einen die Erinnerung wach zu halten und zum anderen aus den damaligen Vorkommnissen die richtigen Schlüsse zu ziehen: Die evangelische Pfarrerin Simone Oppel und ihr katholischer Kollege Josef Steindlmüller sowie Olchings Bürgermeister Andreas Magg. Magg (SPD) weiß, wovon er spricht - seine Großmutter stammt aus Schlesien. Und er weiß, wie wichtig es ist, "die Erinnerung wach zu halten" und sich bewusst zu machen, dass einer von vier Olchingern in den Nachkriegsjahren ein Heimatvertriebener war. Ebenso wie Steindlmüller lässt Magg durchblicken, dass er die aktuelle Entwicklung, die drohende gesellschaftliche Spaltung und das Aufkommen der Rechtsextremen mit Sorge verfolgt. Nicht jeder wisse es zu schätzen, wie gut es einem in Olching und in Bayern trotz allem doch gehe.

Auch Susanne Pollak, Ortsfrau der 1954 gegründeten Olchinger Gruppe der Sudetendeutschen Landsmannschaft, will Europa zusammenführen. Die Rückgabe der einstigen Ostgebiete fordert sie nicht. Alle haben längst eine neue Heimat gefunden. Das freilich ändert für Pollak nichts an der großen Bedeutung, die sie dem gemeinsamen Gedenken an Weggefährten und auch an die erst im vergangenen Jahr verstorbenen Vereinsmitglieder zuweist. Das 1950 errichtete Ehrenmal mit dem Gedenkstein "Der Trauernde" sei der passende Ort dafür. Magg kündigt an, eben jenes Ehrenmal werde im Zuge der Aufwertung des Friedhofs vom Rand in den Zentralbereich verlagert - es werde auf diese Weise "in die Mitte der Gesellschaft gerückt".

Das dürfte auch im Sinne von Werner Mai sein. Er will nach vorne schauen und sich für ein friedliches Miteinander einsetzen, zumal hinter ihm schreckliche Erfahrungen liegen. Er kann sich noch gut erinnern, wie die Familie im Keller saß, als die russischen Soldaten kamen. Wie ihnen auf dem Weg zum Bahnhof sogar Schuhe und Strümpfe abgenommen wurden, bevor sie in die Viehwaggons steigen mussten und gen Westen abtransportiert wurden. Wie Fliehende später mit Maschinengewehren niedergemäht wurden. 19 Mal hat er das frühere Königsberg mittlerweile besucht, dorthin zurückzukehren kommt für ihn aber nicht in Frage. Die dortige Heimat sei "verloren gegangen", sagt er. Die drei Kinder und die Enkelkinder wurden alle in München geboren. 1973 zog Mai nach Malching, 15 Jahre lang arbeitete er auf dem Fliegerhorst. Bayern, das ist für ihn längst zur Heimat geworden.

© SZ vom 16.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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