Olching:Holz, Farbe, Manneskraft

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Wo Brauchtum nichts Folkloristisches hat: Die Maibaumfreunde Geiselbullach bewachen ihre Fichte Tag und Nacht. Die Geiselbullacher Nachtwache, darunter auch Feuerwehr-Vorsitzender Markus Schnell (mit Brille), steht bereit für ihre Schicht. Hinter ihr ist das provisorisch errichtete Häuschen zu sehen. (Foto: Voxbrunner Carmen)

Wer einen Maibaum aufstellen will, muss ihn fällen, transportieren, herrichten und gut verstecken. Die Geiselbullacher Burschen halten Tag und Nacht Wache - ihr Einsatz gilt dem ganzen Dorf.

Von Ekaterina Kel, Olching

Halb zwölf Uhr nachts, Ortsteil Geiselbullach. Vorbei an schwach beleuchteten Straßenschildern. Vorbei an der schmucken Kapelle, die nach dem Heiligen Johannes Nepomuk benannt ist - passenderweise der Schutzpatron für Verschwiegenheit. Passend, weil der 1. Mai ansteht. In Geiselbullach, wo Tradition nichts Verstaubtes oder Folkloristisches hat, sondern unhinterfragt zum Alltag dazugehört, gelten bewährte Dorfregeln. Die verlangen nach einem ordentlichen Maibaum, etwa alle drei Jahre.

Der Ort, an dem er in den Tagen vor dem Maifest liegt, ist das größte Geheimnis eines örtlichen Burschenvereins. Verschwiegenheit also ist dieser Tage die oberste Pflicht für jeden, der sich in einer Dorfgemeinschaft wie Geiselbullach heimisch fühlt. Obwohl es seit 40 Jahren ein Teil von Olching ist, hat es sich die ländliche Aura eines Dorfes erhalten. Einer, der die ungeschriebenen gesellschaftlichen Regeln mit der Geiselbullacher Luft tief eingeatmet hat, ist Robert Meier. Der 57-Jährige trägt einen roten Arbeitskittel, seine Pilotenbrille sitzt ein wenig zu tief auf der knolligen Nase. Gemütlichen Schrittes wandert er einen langen, weiß angestrichenen Holzpfahl entlang. Von der Spitze zum Stamm, das kann schon mal etwas länger dauern, bei 28 Metern Länge. Auf kniehohen Böcken liegt das drei Tonnen schwere Holzstück, links und rechts halten ihn Holzkeile in der Größe einer groben Handfläche stabil. Der Maibaum sieht aus, als ruhe er sich aus. Auf den ersten Blick erinnert kaum etwas mehr an eine Fichte: keine Rinde, keine Äste, keine Nadeln. Die Oberfläche ist gehobelt, sieht aber glatter aus, als sie tatsächlich ist. Gleitet man mit der Hand am Baum entlang, stockt die Haut bei den vielen feinen Rillen. "Ja, das ist Holz", sagt Meier stolz. Zumindest zu 90 Prozent, der Rest ist Farbe und Manneskraft.

Gerhard Gley zieht liebevoll die letzten Striche, bevor der Baum am Morgen des 1. Mai an der Nepomukstraße aufgestellt wird. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Die Maibaumfreunde Geiselbullach zählen wie alle traditionellen Maibaumvereine vor allem Burschen in ihren Reihen. Wobei Burschen eher als Sammelbegriff für Männer jeden Alters fungiert. Meier ist seit seiner Jugend bei der Geiselbullacher Freiwilligen Feuerwehr, seit 23 Jahren Vorsitzender. Vor ein paar Monaten hat er den Posten seinem Kameraden Markus Schnell übergeben. Der sportliche 51-Jährige hat damit nicht nur die Verantwortung für den Verein inne, sondern auch die Organisation rund um den Maibaum, die ohne Einsatz der Feuerwehr kaum zu meistern wäre.

Am 1. Mai wird vor allem auf Leibeskraft und Durchhaltevermögen gesetzt. Um die hohe Fichte aufzustellen, müssen etwa 50 Burschen mitanpacken. Sie benutzen kleinere und schmalere Fichtenstämme, die Schwalben. "Schwaiberl", korrigiert Meier, wenn man sich anschickt, die vom Brauchtum umwehten Werkzeuge hochdeutsch auszusprechen. Überhaupt - nichts verträgt sich weniger als eine hochdeutsche Zunge mit einer geselligen Runde aus zehn bis fünfzehn Geiselbullacher Maibaumfreunden kurz vor Mitternacht. Was sich dagegen überall als Verständnisbeschleuniger bewährt hat, ist das Trinken. Bei den Maibaumfreunden heißt es dann "zünftiges Beisammensein", oder etwas universeller: Prost! So lässt es sich mit einem Bier in der Hand zum Beispiel viel leichter den langen Weg am Maibaums entlang laufen.

Die landwirtschaftliche Halle ist großzügig mit gedämpftem Licht gefüllt. Ihre liebevoll-reißerischen Witze rufen sich die Männer in voller Lautstärke zu. Nebenbei schmeißt einer die Motorsäge an und richtet aus dem alten, abmontiertem Maibaum Kindermöbel her, die am 1. Mai versteigert werden. Obwohl das Baumversteck nicht näher benannt werden soll - schließlich soll die Tradition der Verschwiegenheit gewahrt werden - scheut keiner der Burschen die neugierigen Blicke benachbarter Vereine. Dabei schlichen, wie Meier und seine Gefährten erzählen, wohl immer mal wieder Unbekannte um die Halle: potenzielle Maibaumdiebe. Vor sechs Jahren haben es die Burschen vom THW Dachau beinahe geschafft, den Geiselbullacher Baum zu entführen. Um mögliche Diebe gar nicht erst auf dumme Gedanken kommen zu lassen, schieben die Männer hier schichtweise Tag und Nacht Wache. Aber ganz ohne böse Gedanken: "Wenn die kommen, dann trinken wir eine Halbe", sagt Meier.

Die Burschen haben sich aus Kartoffelkisten ein provisorisches Hauptquartier direkt neben dem Baum gebaut. Innen sind die Wände mit farbigem Filz ausgekleidet, eine Hälfte ist blau, eine rot. Zwei Bierzeltgarnituren stehen in einer Ecke, am Tisch sitzt auch Schnell mit seinen beiden Söhnen, seiner Frau und dem herumwuselnden Hund. Auf der anderen Seite stehen zwei weiße Ledersofas, für den Fall, dass dem Wächter doch mal die Augen zufallen. Als Gegenmittel gibt es Schnaps und Filterkaffee. Ein Flachbildfernseher ziert eine Wand. An der anderen hängen Hochglanzplakate mit verkitschten bayerischen Motiven - ein Paar in Tracht schaut sich vor klarblauem Himmel verliebt in die Augen.

Das ist aber auch das einzige, was hier von verstaubtem Brauchtum zeugt. Die Männer hängen keinen verklärten Bildern nach. Sie halten Wache und streichen den Baum an, "weil es Gesellschaft ist", wie einer von ihnen sagt. Einmal in drei Jahren kommen für zehn Tage Männer und ja, auch Frauen, aus der ganzen Ortschaft zusammen. "Wann sind wir denn sonst so beieinander?", fragt Meier. "Das ist nicht mein Baum oder der Baum der Maibaumfreunde", sagt er, "Das ist der Baum des ganzen Dorfes.

© SZ vom 28.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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